„Davon glaube ich kein Wort!“

Otto Hahn in der Anekdote

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer

„Davon glaube ich kein Wort!“

Otto Hahn in der Anekdote

Von Ernst Peter Fischer
 

„Otto Hahn, Lies Meitner“
 
Wenn man bei Max Planck von politisch schweren Zeiten spricht, dann muß man auch die in seinem Lebensrahmen sich vollkommen ändernde Einstellung der Gesellschaft gegenüber Frauen ins Auge fassen. Er war zunächst – wie man es bei einem stolzen Vertreter des Kaiserreichs auch nicht anders erwartet – nicht gut auf akademisch ehrgeizige Frauen zu sprechen, wie etwa seine Reaktion zeigt, als sich bei ihm eine junge Dame namens Lise Meitner vorstellte, die nach ihrer Promotion in Wien bei Planck in Berlin weiter studieren und arbeiten wollte. „Sie haben doch schon den Doktortitel“, meinte Planck“, „was wollen Sie denn noch?“
       Er war nicht der einzige Akademiker, der Mühe mit den aufstrebenden Damen in der Wissenschaft hatte. Zu ihnen gehörte auch der Chemiker Emil Fischer, der seinen damaligen Assistenten und späteren Nobelpreisträger Otto Hahn anfauchte, „Auf keinen Fall fange ich eine Weiberwirtschaft an!“ Dabei hatte Hahn nur höflich gefragt, ob ein Fräulein Lise Meitner mit in sein Institut kommen und dort auch arbeiten dürfe, wobei man wissen sollte, daß weibliche Wesen damals nur als Putzfrauen Zutritt zu den heiligen Hallen bekamen.
       Meitner hatte es wirklich schwer, sich in der alten  Männerwelt durchzusetzen, und nur Otto Hahn erkannte anfangs ihre Qualität, wobei die beiden sogar gemeinsame Experimente unternahmen und zusammen Brahms-Lieder sangen, während sie mit den Instrumenten herumwerkelten (Abbildung: Hahn und Meitner in einem Laboratorium). Als Lise Meitner nach erfolgreichen Forschungsjahren ihren Habilitationsvortrag ankündigen konnte und dabei über „Die Bedeutung der Radioaktivität für kosmische Prozesse“ sprach, berichteten die Zeitungen, Fräulein Meitner habe über „kosmetische Physik“ gesprochen, was die Dame nicht komisch fand.
 
       Im Laufe der Jahre lernte sie aber, mit dem männlichen Dünkel umzugehen und sich zu wehren. So antwortete sie zum Beispiel auf die Frage des fülligen Wolfgang Pauli, „Wie alt sind Sie eigentlich, Fräulein Meitner?“ mit der spitzen Bemerkung, „Ach, Herr Pauli, ich frage ja auch nicht, wie viel Sie wiegen.“ Und als der ansonsten verehrte Otto Hahn in einer Debatte einmal wieder mit der Erklärung der Experimente nicht zurecht kam, griff Lise Meitner ein und sagte, „Hähnchen, von Physik verstehst du nichts, hör´ damit auf.“
       Die beiden waren gleichberechtigte Professoren mit eigenen Abteilungen an einem Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin, was die

Lise Meitner und Otto Hahn im Labor, Kaiser-Wilhelm Institut für Chemie,
Berlin. 1913
Besucher nicht daran hinderte, sich nach der Assistentin von Hahn zu erkundigen. Doch nach und nach merkten die Mitarbeiter, wem die wissenschaftlichen Ideen zu verdanken sind, und als die beiden Institutsleiter einen Aushang gemeinsam unterzeichnet hatten, drehte jemand zwei Buchstaben ihres Vornamens Lise um, so daß auf dem Papier als Unterschrift zu lesen war, „Otto Hahn, Lies Meitner“. 

       Nach den erwähnten anfänglichen Schwierigkeiten mit Planck kam Lise Meitner immer besser mit ihrem Lehrer der ersten Berliner Jahre zurecht, und sie sprach im Laufe der Zeit sogar von dem „Vater Planck“, der ihren Lebensweg so stark wie ihre Eltern beeinflusst habe. Sie hatte zuletzt sogar das Gefühl, daß die Luft in einem Zimmer besser wurde, wenn Planck hereinkam. Leider konnte auch der hoch angesehene Mann nichts für sie tun, als es 1938 zum AnSchluß ihres Heimatlandes an das Deutsche Reich kam und sie somit als österreichische Jüdin denselben Rassegesetzen unterlag, wie ihre deutschen Kollegen. Als Folge davon mußte die 60jährige Physikerin das Land verlassen, um künftig als schwedische Staatsbürgerin zu leben und nicht wieder nach Deutschland zurückzukehren. Im Juni 1945 beschrieb sie in einem an Hahn adressierten Brief, der seinen Empfänger nie erreicht hat, wie verbittert sie durch die Ereignisse im Nazi-Deutschland war:
       „Ihr habt nie auch nur einen passiven Widerstand zu machen versucht. Gewiß, um Euer Gewissen los zu kaufen, habt ihr hier und da einem bedrängten Menschen geholfen, aber Millionen unschuldiger Menschen hinmorden lassen, und keinerlei Protest wurde laut. Ich muß Dir das schreiben, denn es hängt so viel für Euch und Deutschland davon ab, daß Ihr einseht, was Ihr habt geschehen lassen. Das klingt erbarmungslos, und doch glaube mir, es ist ehrliche Freundschaft, warum ich Dir das alles schreibe.“
       Als Lise Meitner 1938 Berlin Richtung Schweden verlassen mußte, übernahm es Otto Hahn, die Versuche fortzusetzen, bei denen Meitner versucht hatte, einen Neutronenstrahl auf Uran zu lenken, in der Annahme, daß das schwere Element noch schwerer wird und sogenannte Transurane entstehen. Hahn bemerkte bei seinen Versuchen mit Fritz Straßmann aber etwas völlig anderes, denn er konnte beobachten und nachweisen, daß am Ende der Neutronenbestrahlung kein schwereres, sondern ein leichteres Element namens Barium entstanden war. Was in diesen Worten eher harmlos klingt, meint natürlich die folgenreiche Entdeckung der Kernspaltung, die am Vorabend des Zweiten Weltkriegs ungeheuer dramatische politische Folgen mit sich brachte und Bomben ermöglichte, die „Heller als Tausend Sonnen“ leuchteten, wie die berühmte Geschichte der Kernphysik heißt, in der Robert Jungk „das Schicksal der Atomforscher“ schildert. Um diese große Geschichte kann es hier nicht gehen, aber um eine kleine, die in Berlin passierte. Als sich nämlich herumsprach, was Otto Hahn mit einem Neutronenstrahl bewirkt hatte, nämlich eine Kernspaltung, tauchte ein Reporter in seinem Laboratorium mit der Bitte auf, den Professor fotografieren zu dürfen. Man könne doch zwei Aufnahmen machen, meinte der Mann von der Zeitung. Auf der ersten solle Hahn den Atomkern in seiner Hand halten und auf der zweiten solle er nachdenklich auf die Spaltprodukte blicken. Leider ist nicht überliefert, was der Herr Professor geantwortet hat. Vielleicht war er auch zu verblüfft, um überhaupt etwas zu sagen.
 

© Ernst Peter Fischer