Das Böse

Michael Wäser – „Das Wunder von Runxendorf“

von Frank Becker

Das Böse
 
Nicht für schwache Nerven!
 
Es fällt mir sehr, sehr schwer – ich muß es offen einräumen – zu diesem Roman eine angemessene Rezension zu schreiben. Sie sehen mich nach der Lektüre erschüttert, verstört und nahezu sprachlos. Zugleich aber muß ich vor dem Autor Michael Wäser, der hier ein sprachlich großartiges Buch mit einem aberwitzigen Plot abgeliefert hat, den Hut ziehen. Um seines Mutes willen, diesen psychologisch hochkomplexen Stoff so sensibel und doch so eiskalt zu erzählen, besser: erzählen zu lassen, daß dem Leser das Blut in den Adern stockt.

Nahezu heiter und mit liebevollem Zeitkolorit ausgestattet läßt Wäser die proletarische Biederkeit der 1970er Jahre, den saarländischen Kleinstadtmief des Bergarbeitermilieus zur Zeit der Fußball-WM 1974 und unfaßbare Grausamkeit und Gefühlskälte einer Mordserie immer dichter ineinanderfließen. Ab (nein, ich sage nicht, ab welcher Seite) einem gewissen Punkt möchte man nicht weiterlesen, so sehr geht einem das vorhersehbare Schicksal der perfide und skrupellos als Opfer von Entführung, Mißbrauch, Vergewaltigung und Mord ausgesuchten jungen Mädchen nahe. Doch dann ist da dieses gräßlich Faszinierende, das einen zum Weiterlesen zwingt und von dem man beim Umblättern einer jeden Seite hofft, daß es doch bitte jetzt enden möge.

Wäsers Protagonist Gerald, ein zurückgestoßener vom Vater geprügelter und von Träumen lebender, mißachteter Halbwüchsiger, keine Leuchte, wahrlich nicht, tritt irgendwann während der Fußball-WM, für die sein Vater mit seiner Hilfe für sich und die Nachbarn einen Party-Keller ausgebaut hat, neben sich. In einer schwitzigen Phantasiewelt entwickelt er sich von Fußballspiel zu Fußballspiel, von den Vorrunden über die Achtel- und Viertelfinale zum Halbfinale und Endspiel der akribisch nachgezeichneten Spiele zu einem grauenhaften Monster, in dessen Kopf sich abgründige, entsetzliche Dinge abspielen, welche er konsequent in die mörderische Tat umsetzt. Sein zweites Ich, das zunächst als Beobachter und Erzähler agiert, greift irgendwann helfend ein und übernimmt schließlich die grausige Regie. Zwei gleichzeitig Handelnde, die das gleiche tun, der eine in scheinbar tumber Hörigkeit, der andere in kalter Entschlossenheit – Mr. Hyde und Mr. Hyde² sozusagen. Mehr möchte ich von der Geschichte nicht wiedergeben.
 
Dieser Roman, der zwar keine wirklich expliziten Beschreibungen von Grausamkeiten erhält, diese aber sublim kaum weniger grausam vermittelt, verpackt in scheinbare plaudernde Harmlosigkeit, bewegt sich auf der selben Ebene des zutiefst Bösen wie  Truman Capotes „Kaltblütig“. Michael Wäser führt sprachlich und erzählerisch brillant Stufe um Stufe zu einem erschreckenden psychischen Profil, einer abgrundtief kalten Kulmination der Mordlust - und mit einer unerhört raffinierten Wendung ohne Katharsis zu einer grausigen Erkenntnis.

Nicht für schwache Nerven! Das Buch sollte Jugendlichen nicht zugänglich sein.
 
Michael Wäser – „Das Wunder von Runxendorf“
Ein Mörder Roman
© 2021 Axel Dielmann Verlag, 219 Seiten, gebunden, Lesebändchen – ISBN: 978-3-86638-286-2  -  auch als eBook: 978-3-86638-287-9
20,- €
 
Weitere Informationen: www.dielmann-verlag.de