Ein literarisch-literaturgeschichtliches Bonbon

Eduard von Keyserling – „Kostbarkeiten des Lebens“

von Robert Sernatini

Ein literarisch-literaturgeschichtliches Bonbon
 
Ein Standardwerk zu Werk und Leben
Eduard von Keyserlings
 
Klaus Gräbner und Horst Lauinger, die Herausgeber dieses grandiosen Bandes mit gesammelten Feuilletons und Kritiken zu Kunst und Ästhetik, Bühne und Buch, Leib und Seele und zum (1.) Weltkrieg samt fünf bisher verschollen gewesenen, unveröffentlichten Erzählungen auf 292 Seiten, sowie der Briefe an und von Eduard von Keyserling (1855-1918) nebst einer Lebenschronik und eines genealogischen Abrisses auf weiteren 481 Seiten haben, wie man an dieser Auflistung erkennt, Außergewöhnliches geleistet. Doch das ist noch nicht alles. Der anschließende ausführliche kritische Kommentar auf 134 Seiten, das Nachwort von Lothar Müller, kurze Künstlervitae, gesammelte Stimmen zu Keyserling, ein ausführliches Personen- und Werkregister, Literaturverzeichnis etc. machen diesen dritten bibliophilen Liebhaberband der Schwabinger Keyserling-Ausgabe zu einem unverzichtbaren Standardwerk über einen der großen Erzähler der vorigen Jahrhundertwende.
 
Das Buch öffnet weit über die atmosphärisch dichten Erzählungen Keyserlings hinaus einen ungemein bilderreichen Schatz: die teils essayistischen Feuilletons und Kritiken des ungemein belesenen baltische Romanciers zu weiten Bereichen der Kunst und Kultur, die ein packendes Zeit- und Gesellschaftsbild zeichnen, zergehen sozusagen auf der leserischen Zunge. Es ist ein Genuß, seine Meinung über Ausstellungen der Münchner Secession, der Phalanx oder des Münchner Kunsvereins zu erfahren, über das damals so populäre Nackte in der Kunst oder über Alfred Kubin. Wir lesen über die schöne Ausdruckstänzerin (Schlaftänzerin) Madeleine G. (d.i. Magdeleine Guipet), über Oscar Wildes Erinnerungen aus dem Zuchthaus, Ibsens Peer Gynt, den Dramatiker Max Halbe, das Sterben im Drama und Max Dauthendeys asiatische Novellen Lingam.
Nach der umfangreichen baltischen Genealogie derer von Keyserling finden wir mit besonderem Genuß Aussagen von Zeitgenossen über Eduard von Keyserling, darunter des Verlegers Korfiz Holm, der Schriftsteller Felix Salten, Lou Andreas-Salomé, Robert Walser, Erich Mühsam und Kurt Tucholsky sowie des Journalisten Kurt von Stutterheim. Die sich anschließende aus verschiedenen Zeitzeugnissen zusammengestellte Chronologie läßt den Lebensablauf Keyserlings anschaulich verfolgen, das Drama des 1. Weltkriegs und das seiner Erblindung bis zu seinem Tod am 28. September 1918. Kurt Tucholsky sieht sich außerstande, einen Nachruf zu schreiben, Thomas Mann sieht sich von der Frankfurter Zeitung dazu genötigt und schreibt widerwillig, „um der guten Freundschaft willen“.

Lovis Corinth, Eduard von Keyserling 1900

Ein besonderes Bonbon ist der farbige Bildteil – aus technischen Gründen in der Mitte des Buches – mit Kommentaren Eduard von Keyserling zu Zeichnungen, Gemälden und Plastiken von Martin Schongauer, Albrecht Dürer und Tizian bis Wilhelm Trübner, Felix Valloton und Alfred Kubin, darunter viele Zeitgenossen und französische Impressionisten. Zu seinem im Jahr 1900 von Lovis Corinth gemalten Porträt merkt er an: „Es mag, trotz der Brutalität, die drinsteckt, gut jemalt sein, und gut unterhalten hat er mich dabeei. So aussehn aber möcht ich lieber nich.“
Von den Musenblättern mit dem Prädikat „Musenkuß“ als unverzichtbar empfohlen.
 
Eduard von Keyserling – „Kostbarkeiten des Lebens“
Gesammelte Feuilletons und Prosa
Herausgegeben und kommentiert von Klaus Gräbner und Horst Lauinger
Unter Mitarbeit von Reinhard Oestreich und Jochen Reichel
Schwabinger Ausgabe, Band 3
© 2021 Manesse Verlag, 910 Seiten, Ganzleinen, Lesebändchen, 35 farbige Abbildungen, Schutzumschlag, Personen- und Werkregister, Literaturverzeichnis – ISBN: 978-3-7175-2504-2
32,- €
 
Weitere Informationen: https://www.penguinrandomhouse.de/