„Davon glaube ich kein Wort!“

Antoine Lavoisier in der Anekdote

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer

„Davon glaube ich kein Wort!“

Antoine Lavoisier in der Anekdote

Von Ernst Peter Fischer
 

Leben und Sterben für die Chemie
 
Während Napoleon an den Himmel schaute, blickten andere französische Wissenschaftler in ihre Reagenzgläser und andere Behältnisse, um die Reaktionen zu verstehen, die man dort initiieren und beobachten konnte. In den Kreisen der Chemiker stritt man sich vor allem um den Vorgang der Verbrennung, bei dem offensichtlich etwas entweicht, und das sollte ein unsichtbar bleibender Stoff sein, den man nach einem Vorschlag des Deutschen Georg-Ernst Stahl Phlogiston nannte – nach dem griechischen Wort für „verbrannt“. In Paris hielt Antoine Lavoisier davon überhaupt nichts. Er hatte nämlich mit Hilfe einer zwar einfachen aber genauen Waage bemerkt, „daß der Schwefel beim Verbrennen, weit davon entfernt, sein Gewicht zu verlieren, im Gegenteil schwerer wird.“ Lavoisier schickt diese Mitteilung im November 1772 in einem versiegelten Umschlag an die Pariser Akademie, „um mir das Eigentum daran zu sichern“, und er verkündete stolz, damit „eine Revolution in der Chemie“ bewirkt zu haben, eben durch seine neue Theorie der Verbrennung, die seit Lavoisier besagt, daß Stoffe dabei Sauerstoff aufnehmen. So nannte oder taufte er den Teil der Luft, der zum Verbrennen erforderlich war.
       Lavoisier ist so stolz auf das Erreichte, daß er 1789, kurz nach dem Sturm seiner Landsleute auf die Bastille, die damit eine Revolution in ihrem Land auslösen, eine Art Schauspiel inszeniert, in dem in einer Art Theaterveranstaltung häßliche Vertreter der alten Theorie mit dem Phlogiston von einem hübschen Anhänger des Sauerstoffs angeklagt und zum Schluß verurteilt werden, wobei die Strafe darin besteht, daß der Phlogiston verbrannt wird. Das finden alle Anhänger Lavoisiers witzig, der zuletzt seine Frau auftreten und das Buch, in dem der alte Chemiker Stahl den Phlogiston eingeführt hat, den Flammen übergibt.
       Zwar entwickelte sich Lavoisiers Bemühen um klares Denken in der Chemie höchst erfolgreich, aber dies reichte dem umtriebigen Mann nicht, der sich in einem Nebenberuf als Steuereintreiber betätigte. Dadurch verfügte er auf der einen Seite über ausreichende Mittel, um sein privates wissenschaftliches Laboratorium zu betreiben. Er mußte aber auf der anderen Seite bei den wachsenden sozialen Spannungen im revolutionären Frankreich mit zunehmendem Haß gegen die Vertreter des Ancien régime rechnen, zu denen auch er gehörte, und bald begannen die Führer der Französischen Revolution sich ihm zuzuwenden, und sie verhafteten den Chemiker und beschlagnahmten sein Laboratorium, um es später sogar zu vernichten. Als Hauptgegner Lavoisier trat der berühmt-berüchtigte Jean Paul Marat auf, dessen Tod zum Thema der Kunst geworden ist – es gibt dazu ein Gemälde von Jacques Louis David aus dem 18. Jahrhundert und ein Theaterstück von Peter Weiss aus dem 20. Jahrhundert. Lavoisier hatte Jahre zuvor wiederholt die Aufnahme Marats in die Französische Akademie der Wissenschaften verhindert, und nun konnte der ehemalige Journalist Rache nehmen. Kurzum: Marat sorgte dafür, daß Lavoisier auf die Guillotine gebracht und hingerichtet wurde, und am 8. Mai 1794 starb der gerade einmal 50jährige Chemiker, der sein Fach revolutioniert hatte, als sein Land mit derselben Aufgabe beschäftigt war, unter dem Fallbeil. Als Lavoisiers Kopf fiel, schaute der bei der Exekution anwesende Mathematiker Joseph Lagrange auf seine Uhr und faßte dabei den Gedanken, den er später zu Papier brachte: „Eine Sekunde brauchen sie nur, um seinen Kopf zu nehmen, vielleicht werden hundert Jahre vergehen, bis ein ähnlicher wieder wächst“.
       Wer sich die anschließende Entwicklung der chemischen Wissenschaft anschaut, wird finden, daß Lagrange sich verschätzt hat. Man mußte noch viel länger auf einen neuen Lavoisier warten.
 
 

© Ernst Peter Fischer