Ziemlich aus dem Leben gegriffen

„Wanda, mein Wunder“ von Bettina Oberli

von Renate Wagner

Wanda, mein Wunder
Schweiz 2020

Drehbuch und Regie: Bettina Oberli
Mit: Agnieszka Grochowska, André Jung. Birgit Minichmayr, Marthe Keller u.a.
 
Das „Wunder Wanda“ gilt allerdings nur für Herrn Josef Wegmeister-Gloor, einen reichen, bettlägerigen Zürcher Industriellen. Für seine Gattin ist die Polin Wanda, die immer wieder für einige Monate in die Luxusvilla am Zürichsee kommt, eine willkommene Hilfe bei der Pflege des Gatten. Der junge Sohn des Hauses, der mehr von Vogelstimmen versteht als von Geschäften, betrachtet sie mit sehnsüchtigen Augen. Die Tochter allerdings, die auftaucht, als das Vaters Siebziger zu feiern ist, hegt nur das im Westen vorkommende Mißtrauen gegen die Helfer aus dem Osten… Diese Familienkonstellation breitet die Schweizer Filmemacherin Bettina Oberli nach eigenem Drehbuch erst einmal sorglich aus.
 
Klar wird, daß Wanda nur monatelang aus Polen in die Schweiz geht und ihre beiden (unehelichen, vaterlosen, Genaues erfährt man nicht) kleinen Söhne bei ihren Eltern zurück läßt, um möglichst viel Geld zu verdienen. Ausbeuten läßt sie sich nicht, mit ihren finanziellen Forderungen muß die noble Hausfrau leben. Wenn Hausherr Josef nach „Wanda!“ schreit und sie quasi als sein Privateigentum betrachtet, kommt sie, massiert ihn, füttert ihn, und wenn er nicht nur Pflege, sondern Sex will, macht sie auch das – für eine saftige „Prämie“. Manche (wie die Tochter) mögen das unsympathisch finden. Wenn Wanda später in einer Szene ihrem Vater vorhält, wie chancenlos die Situation in Polen ist, weiß man, daß nur das Westgeld, das durch die „Gastarbeiter“ ins Land fließt, dort die Situation für einige Menschen verbessern kann.
Das alles könnte ewig (oder bis zum Tod von Josef, der vor dem Ende tatsächlich stirb) so weitergehen, aber die Pointe der Geschichte, die man verraten muß, sonst wäre sie nicht weiter zu erzählen, besteht nun darin, daß Wanda von ihren nächtlichen Reitkünsten auf Herrn Josef ein Kind erwartet. Und der 70jährige freut sich überraschenderweise riesig und würde einer Abtreibung ebenso wenig zustimmen wie Wanda, die allerdings zähe um hohe Abfertigungssummen verhandelt.
Natürlich geht es auf beiden Seiten um Geld, die ironische Tragikomödie wird turbulent (auch wenn das Boot mit Herrn Josefs Asche plötzlich unbemannt im Zürichsee schaukelt), und es ist nur schade, daß die Autorin / Regisseurin am Ende ein vages Happyend andeutet, das so nie stattfinden könnte und das auch nicht durchzudenken ist. Denn obwohl Bettina Oberli keine dezidierte, scharfe Kapitalismus-Kritik bietet (das Ehepaar und der Sohn sind eigentlich ganz ordentliche Menschen), können die Abgründe zwischen reichen Schweizern und armem polnischen Dienstpersonal nicht so einfach überbrückt werden.
 
Wanda selbst bleibt in der Gestaltung von Agnieszka Grochowska eigentlich die blasseste Figur im Geschehen, während André Jung als der kranke, aber doch noch lebenshungrige Josef höchst überzeugend ist, einer, der wie seine Frau auch, genau weiß, daß er mit Geld alles kaufen kann. Marthe Keller bewältigt die Turbulenzen mit Eleganz und Haltung (Szenen macht man in diesem Milieu keine), der für eine „Chefkarriere“ so ungeeignete junge Sohn ist mit Jacob Matschenz ideal besetzt.
Und da ist noch die Tochter, die „Hexe“ der Geschichte: eine Rolle, für die man nicht a priori an Birgit Minichmayr gedacht hätte, aber sie spielt die reiche Frau, die von allen Leuten nur das Schlechteste denkt und erwartet (und es auch lautstark sagt), mit stupender Überzeugungskraft, macht aber auch klar, daß eigenes Unglück (wacklige Ehe, vergeblicher Kinderwunsch) sie so bitter gemacht hat. Wenn sie Wandas Kind adoptieren will, kommt es zu Szenen, wo man meint, zwei Mütter zerrissen das Baby vor König Salomon – aber letztendlich bleibt man zivilisiert, auch wenn Wandas polnische Familie auftaucht und keinesfalls demütig, sondern mit Stolz agiert.
Es ist eine Menge drinnen in diesem Film, Unterhaltendes, aber auch nachdenklich Machendes. Und schon ziemlich aus dem Leben gegriffen, wo ja auch nie alles so läuft, wie man es sich vorstellt.
 
 
Renate Wagner