Ukraine-Konflikt

Putin und der Mythos des Russischen

von Matthias Buth

   Matthias Buth - Foto: Heiko Loeffler
Ukraine-Konflikt
Putin und der Mythos des Russischen
 
Um was geht es im aktuellen Ukraine-Konflikt? Um die Unabhängigkeit des Landes? Um die russische Furcht vor der heranrückenden NATO? Wohl auch, meint der Lyriker und Jurist Matthias Buth. Nicht minder jedoch um Putins Platz in den Geschichtsbüchern.
 
Eine geopolitische Katastrophe ist für Waldimir Putin der Zerfall der UdSSR im Jahre 1991. 140 Völker lebten in diesem Riesenreich, in den 15 Unionsrepubliken wurden 130 Sprachen gesprochen von 287 Millionen Menschen. Die 1991 entstandene „Russische Föderation“ hat nur noch die Hälfte. 14 neue Staaten, die endlich Freiheit und Selbstbestimmung erlangten, umgeben Russland.
„Sowjetmenschen“ gibt es dort nicht mehr, auch nicht im Land des Kreml. Also wandte sich Putin einer anderen Staatsdoktrin zu, dem Mythos des Russischen und das im Verbund mit der russisch-orthodoxen Kirche.
 
Putin folgt nationaler Reichsidee
Es ist fatal, daß er dabei einer nationalen Reichsidee folgt, die der des nationalsozialistischen Staatsdenkers Carl Schmitt nahe ist. Das Recht ist er, der Führer. Und: Wo russisch gesprochen wird, ist Russland, eine Doktrin, welche die Ukraine und die baltischen Staaten fürchten müssen. Autonomie und Demokratie sind nunmehr „antirussisch“ und „terroristisches Agententum“. Auch die Deutsche Welle hat es nun erfahren.
Für den 70-jährigen Putin sind Geschichtsmythen bestimmend, die fatalerweise sogar von Autoren wie Solschenizyn mitgetragen werden, die vom slawischen Russland unter Einschluß von Belarus und Ukraine schrieben. So wird Kiew als Quellgebiet alles Russischen wahrgenommen, als „die Mutter aller russischen Städte“ und – sakral aufgeladen – als „Jerusalem des Ostens“. Die Ukraine wird als Brudervolk bezeichnet, auch wenn nur 13 Prozent Russen dort leben.
 
Kaliningrad mitten im NATO-Gebiet
Polen, Litauen, Estland und Lettland sowie Rumänien sind heilfroh, seit 2004 Mitglieder der NATO zu sein, sonst wäre die Angst noch größer. Politisch übersehen wird oft, daß mitten im NATO-Gebiet die Oblast Kaliningrad liegt, das historische Königsberg, das Russland nach dem zweiten Weltkrieg annektierte und Deutschland 1991 völkerrechtlich verbindlich abtrat. Die dort stationierten Raketen können Berlin in fünf Minuten erreichen, Warschau noch schneller.
Die NATO-Osterweiterung vor 18 Jahren führte indes nicht zu einem solch gewaltigen Truppenaufmarsch. Was hat sich geändert? Putin! Er weiß, daß sein Staat weltwirtschaftlich eine Mittelmacht ist und abhängig vom Gasverkauf. Sein einziger Trumpf ist die Armee. Und so redet er mit Waffen und Repression nach innen.
 
Demokratisches Selbstverständnis der Ukraine
Die Maidan-Revolution von Kiew und nun die Bedrohung durch Krieg haben die Ukraine weg von Moskau und näher an die EU getrieben. Das nationale Selbstverständnis der Ukraine ist demokratisch. Das fürchtet Putin. 
Daß demokratische Strukturen und Wohlstand mehr bewirken als Panzer, wird in Kiew bald erkannt werden. Wenn Putin angreift, wird er schnell die Ukraine zerschießen können, aber nicht besetzen und auch nicht auf die russische Staatsbevormundung einschwören. Russische Ex-Generäle warnen bereits, daß Russland diesen Krieg nicht überleben und Russland auf Dauer aus der Staatengemeinschaft ausgeschlossen würde.
 
Erinnerung an Schlacht im Jahr 1914
Die Ukraine, in deren Staatsgebiet die ehemaligen Habsburger Kronländer Galizien (mit der Hauptstadt Lemberg) und die Bukowina (mit der Hauptstadt Czernowitz) liegen, ist uns nah. Im Ersten Weltkrieg gab es 1914 in der Nähe der Stadt Grodek eine furchtbare Schlacht zwischen Russland und Österreich. Der Sanitätsoffizier und einer der größten deutschen Dichter, Georg Trakl, schrieb im Angesicht des Grauens sein letztes Gedicht. Es heißt „Grodek“ und enthält den Vers:
„Alle Straßen münden in schwarze Verwesung“.

Ein Vers, der uns alle ansieht. Auch Ukrainer und Russen.