„Davon glaube ich kein Wort!“ Isaac in der Anekdote Von Ernst Peter Fischer
Der neue Blick ins Universum
Als der Schotte Maxwell seine Gleichungen vorstellte, riskierten zwei deutsche Wissenschaftler in Heidelberg einen neuen Blick in das Weltall. Gemeint sind der Chemiker Robert Bunsen und der Physiker Gustav Kirchhoff, die beide in benachbarten Laboratorien arbeiteten. Den Namen Bunsen kennt heute nahezu jeder, wenn er einmal im Chemieunterricht mit einem Bunsenbrenner hantiert hat, wobei es zu den Geschichten um den freundlichen Junggesellen Bunsen gehört, daß die Frau eines Kollegen einmal gesagt hat, bevor man diesen Mann küsse, müsse man ihn erst einmal waschen.
Kirchhoff und Bunsen konnten von ihren Fenstern aus über die Rheinebene bis nach Mannheim schauen, und als eines Nachts dort in den Industrieanlagen ein Feuer ausgebrochen ist, sind sie auf die Idee gekommen, die Flammen mit einem Spektroskop zu untersuchen, was ihnen anzeigte, daß in dem verbrennenden Material die chemischen Elemente Strontium und Barium enthalten sein mußten, die eine charakteristische Farbe in das Licht hineinbrachten. „Wenn wir sehen können, was in Mannheim brennt“, so hat Bunsen am nächsten Tag zu Kirchhoff gesagt, als die beiden den Philosophenweg entlang spazierten, „warum können wir dann nicht weiter blicken und auch sehen, was auf den Sternen brennt?“ Und er fügte noch hinzu, „Oder meinst Du, die Leute denken, wir sind verrückt, so nach den Sternen zu greifen?“
Tatsächlich hatten (positivistisch orientierte) Philosophen in diesen Tagen des 19. Jahrhunderts die scheinbar unabweisbare Idee vorgetragen, daß Menschen niemals (positiv) sagen können, woraus Sterne bestehen, da ja niemand zu ihnen hinfahren kann. Bunsen und Kirchhoff meinten nun, es reiche, aus dem Fenster zu schauen, um die philosophische Ansicht zu widerlegen, was sie dann auch in den folgenden Monaten mit Hilfe der sogenannten Spektralanalyse unternahmen, wobei ihr Befund dann sogar das gesamte Weltbild beeinflussen konnte. Was Bunsen und Kirchhoff nämlich ermittelten, läßt sich in dem Satz zusammenfassen, „Am Himmel findet man dieselben Elemente wie auf Erden“, und damit wurde aus dem alten Kosmos das neue Universum, also eine Welt, die sich den Menschen als Einheit zeigt.
In der Antike hatte Aristoteles noch versucht, eine Art Duoversum zu errichten, in dem er die Sphären jenseits des Mondes von der Erde diesseits des Trabanten unterschied. Hier unten sollten physikalische Gesetze, und dort oben göttliche Gebote gelten, und diese Idee hat lange Bestand gehabt und zum Beispiel ihre literarische Feststunde in der „Göttlichen Komödie“ feiern können. Doch im frühen 17. Jahrhundert tauchte ein Astronom namens Johannes Kepler auf, der merkte, daß die Umlaufbahnen von Planeten keine Kreise, sondern Ellipsen zeigen, und Götter lassen ihre Geschöpfe nicht auf solchen Bahnen umherziehen. Mit anderen Worten, der Himmel durfte nicht mehr transzendent – also mit überirdischen, jenseitigen Kräften – erklärt werden, er mußte vielmehr immanent – aus den irdischen Dingen mit diesseitigen Mechanismen – verstanden werden, wie Kepler klar erkannte, ohne sogleich zu wissen, wie er dieses hohe Ziel erreichen konnte.
Gelungen ist dies dem Briten Isaac Newton, der im späten 17. Jahrhundert in einem berühmten Buch mit dem Kurztitel „Principia Mathematica“ die Gesetze der Bewegung erfindet und aufstellt, die am Himmel – für die Planeten – und auf der Erde – für die dort fliegenden Gegenstände wie Kanonenkugeln und Steine – gelten. Das dazugehörige Licht ist dem 24jährigen Newton aufgegangen, als er 1666 in einem Garten bei der Ortschaft Woolsthorpe Manor sitzt und sowohl über das Sonnenlicht und seine Farben als auch über die Kräfte nachdenkt, die im Kosmos wirken und den Lauf der himmlischen Dinge in Gang halten. Das heißt, es geht eigentlich um Kräfte, die auch dort wirken, wo Newton sitzt, und dies wird ihm eindrücklich klar, als vor seiner Nase ein Apfel vom Baum fällt und auf dem Boden aufkommt. Newton kommt dabei blitzartig die Idee, daß dieser Boden und mit ihm die Erde den Apfel zu sich her gezogen hat, und ihm wird auch sofort klar, daß diese Kraft doch nicht an dem Zweig enden kann, an dem der Apfel eben noch befestigt war. Die Kraft der Erde, die er später Schwerkraft oder Gravitation nennt, muß in den Weltraum hinein reichen, und vielleicht erfaßt sie sogar den Mond und die Planeten.
Im Alter hat Newton einem Freund die Anekdote mit dem Apfel und ihre Folgen so geschildert:
„Weswegen fällt der Apfel immer senkrecht herunter, warum nicht zur Seite, und stets nach der Erdmitte? Es muß eine Anziehungskraft in der Materie geben, welche im Erdinneren konzentriert ist. Wenn die Materie eine andere Materie so sehr anzieht, muß eine Proportionalität mit ihrer Masse bestehen. Deswegen zieht der Apfel die Erde genauso an wie die Erde den Apfel. Es muß deswegen eine Kraft geben, ähnlich der, welche wir Schwerkraft nennen, und die sich über das ganze Weltall ausbreitet.“
Was Newton wurmte und bis zum Ende seines Lebens beschäftigte, drückte er dann so aus: „Ich habe noch nicht dahin gelangen können, aus den Erscheinungen den Grund dieser Eigenschaft der Schwere abzuleiten“, und er fügte diesem Bedauern den berühmten Satz hinzu, „Hypothesen erdenke ich nicht, es genügt, daß die Schwere existiere … und daß sie alle Bewegungen der Himmelskörper und des Meeres zu erklären im Stande sei.“ Mit den Bewegungen des Meeres meinte Newton die Erscheinungen von Ebbe und Flut, die sich jetzt nach den von ihm dargelegten Gesetzen gut verstehen und sogar voraussagen ließen. Newton zeigte sich zufrieden, fühlte er doch in seinem Herzen, daß sich „die bewunderungswürdige Einrichtung der Sonne, der Planeten und Kometen … dem Ratschluß und der Herrschaft eines alles einsehenden und allmächtigen Wesens“ verdankt, und der große Physiker empfand sein größtes Lebensglück in der Wissenschaft und ihren Gesetzen.
© Ernst Peter Fischer
|