Man ist halt alleen auf der Welt

„Rose Bernd“ von Gerhart Hauptmann in Bielefeld

von Martin Burkert

Foto © Philipp Ottendörfer


Man ist halt alleen auf der Welt

„Rose Bernd“ von Gerhart Hauptmann

Premiere im Theater Bielefeld am 12.3.2022
 
Im Jahr 1903 nahm der Schriftsteller Gerhart Hauptmann (1862-1946) als Geschworener an einem Prozeß gegen eine Kindsmörderin teil. Er war von ihrem Schicksal erschüttert und schätzte die Situation der jungen Frau als so ausweglos ein, daß er auf Freispruch plädierte. Danach wurde er nicht mehr als Geschworener berufen, aber er fand darin den Stoff für sein naturalistisches Drama „Rose Bernd“. 1903 kam es zur Uraufführung, wurde zeitweise viel gespielt und mehrfach verfilmt. Aktuell steht es nur noch selten auf den Spielplänen. Jetzt brachte das Theater Bielefeld die „Rose Bernd“ zur Premiere.
 
Die Bühne erinnert an eine Manege. Hinten steht ein halbrundes Geländer, vorne ein großes Podest, aufgestellt wie im Zirkus für gezähmte Elefanten oder Tiger. Hier auf dem Podest ist eine durch männlich-soziale Kontrolle dressierte junge Frau ausgestellt: Rose Bernd. Ungewollt schwanger von einem verheirateten Mann wird sie zur Kindsmörderin.
Rose Bernd steht in dieser Inszenierung weniger für ein Individuum, eher für „die Frau als solche“. Sie wird begehrt und unterdrückt, angehimmelt und ausgelacht. Drei Männer umkreisen das Podest mit Rose. Sie wirken wie eine Mischung aus Zirkusclowns, Bauern und Monster, buhlen um die Frau sanft, plump oder gewaltsam. Rose zeigt sich zunächst durchaus selbstbewußt, dann aber knickt sie ein.
 

Carmen Witt - Foto © Philipp Ottendörfer

Eigentlich spielt die Geschichte auf einem Dorf in Schlesien und ist ganz realistisch und mitleiderregend erzählt. Rose hat ein geheimes Liebesverhältnis mit Bürgermeister Flamm, der aber ist verheiratet. Sie wird schwanger von ihm. Um das zu verheimlichen, willigt sie ein, den Langweiler August, den Kandidaten ihres Vaters, zu heiraten. Zu Roses Unglück weiß ein zwielichtiger Kerl, der Schwerenöter Streckmann, um Roses Geheimnis. Er erpreßt und vergewaltigt sie und verrät ihre Schwangerschaft. Die Männer, auch der Vater, ziehen sich zurück. Rose ist verzweifelt. Aus Scham sieht sie nur einen Ausweg, sie opfert das Kind. Es hilft ihr keiner. Sie sucht Verständnis beim Publikum mit leicht schlesischen Akzent: Man ist halt zu sehr alleen hier auf der Welt. Ich lebe, ich stehe hier. Das heest doch was. Das ist doch was. Ich dechte, das müßten Se sehen, daß ich hier stehe.
Regisseurin Alice Buddeberg streicht alle Nebenfiguren, dafür führt sie eine neue Rolle ein, Rose Bernd die Ältere. Sie ist intellektuelle Erzählerin dieser vergangenen Geschichte und kommentiert sie feministisch.
 
Mit der dazu erfundenen älteren Rose und den clownesken Männerfiguren entsteht ein tragisch-komischer Denkraum über weibliche Existenz. Rose Bernd ist mitleiderregend und gleichzeitig geistreich aufbegehrend. Die Komik entsteht durch die männlichen Abgründe, vom Macho-Gehabe bis zu Machtphantasien. Das Ensemble in Bielefeld zeigt sich gut aufgelegt. Carmen Witt spielt die junge Rose Bernd mit viel Energie, Carmen Priego souverän die ältere. Und die Männer machen sich bravourös lustig über ihr Geschlecht. Der lang anhaltende Beifall des Premierenpublikums war verdient.

„Rose Bernd“ von Gerhart Hauptmann
 
Regie: Alice Buddeberg - Bühnenbild: Sandra Rosenstiel - Kostüme: Clemens Leander - Dramaturgie: Elisa Hempel - Fotos: Philipp Ottendörfer

Ensemble: Carmen Witt, Carmen Priego, Lukas Graser, Janis Kuhnert, Stefan Imholz
 
Aufführungsort: Theater am Alten Markt, Alter Markt 1 - 33602 Bielefeld
Adresse Theater Bielefeld: Brunnenstraße 3-9, 33602 Bielefeld. Kartentelefon: Theater Bielefeld 0521-515454.
 
Nächste Aufführungstermine + Uhrzeiten: So. 03.04.2022 um 19:30 Uhr; Do. 14.04.2022 um 20:00 Uhr; Mi. 20.04.2022 um 20:00 Uhr
Weitere Informationen: www.theater-bielefeld.de
 
Kurzkritik: Die originelle Inszenierung läßt einen tragisch-komischen Denkraum über weibliche Existenz entstehen.