Ein ganz großer kleiner Roman

Gianfranco Calligarich – „Der letzte Sommer in der Stadt“

von Frank Becker

Ein ganz großer kleiner Roman
 
„Der letzte Sommer in der Stadt“,
eine Wiederentdeckung mit Bestseller-Potential
 
Ein literarisches wie sprachliches Kunstwerk, ein lasziv-melancholisches Stimmungsbild ohnegleichen ist Gianfranco Calligarichs „Der letzte Sommer in der Stadt“, ein Roman, wie man ihn bei seiner ersten Auflage 1973 aus Italien seit Cesare Pavese nicht bekommen hatte. Die im Rom der frühen 70er Jahre unter der Glocke seiner glühenden Sommerhitze angesiedelte bittersüße Liebesgeschichte zwischen dem talentierten Tagedieb Leo Gazzarra und der unsteten und etwas zu exzentrischen Arianna – ein It-Girl würde man sie im Rückblick nennen - führt uns in die scheinbar unbeschwerte Welt römischer Künstler, Intellektueller, Sportler erfolgreicher Blender und wohlhabender Müßiggänger jener Zeit.
Zu ihnen stößt aus Mailand kommend der junge Leo Gazzarra, der durch Protektion für ein Jahr eine Wohnung übernehmen und einen alten Alfa kaufen kann. Er findet Anschluß an eine Clique der „angesagten“ Kreise der Stadt und trifft im Haus ihrer Schwster Eva die bildhübsche schlanke Arianna, mit der ihn über den heißen Sommer und das ausklingende Jahr eine fatale Leidenschaft verbindet. Alles scheint Leo in den Schoß zu fallen, er geht mit zahlreichen Mädchen aus, er betrügt Arianna, wie sie ihn, Jobs werden ihm zugeschanzt, er feiert viel und trinkt exzessiv – das oberflächliche Leben scheint ein einziger Spaß zu sein, bei dem das Eingestehen von Gefühlen nur stören würde.
 
Der Freitod des Freundes Graziano, des „letzten Mohikaners“ und Leos nicht zuletzt dadurch eskalierende Alkoholsucht geben Leos Römischem Jahr die Wende. Mit dem abklingenden Sommer und seinen Fluchten ans kühle Meer schwindet auch die Leichtigkeit. Ein kurzer Heimweh-Ausflug nach Mailand wird zum nächsten niederschmetternden Erlebnis. Ariannas kapriziöse Abkehr und die Hinwendung zum reichen Arlorio – sie war ebenso wie Leo nie in der Lage, zu der empfundenen gegenseitigen Liebe zu stehen – gibt Leo den Rest, woran auch ein zufälliges Wiedersehen und kurzes Aufflackern alter Leidenschaft nichts zu ändern vermag.
Leo ist Erzähler seiner eigenen, zunächst von Leichtigkeit, doch sich schließlich zu moralischer Schwere entwickelnden, höchst dramatischen Geschichte bis zu ihrer den Zeitgeist spiegelnden Ende mit einem literarischen „Sitz im Leben“. Die Bilder, die Gianfranco Calligarich von Rom zeichnet, sind gleichermaßen Delikatessen wie seine plastischen Beschreibungen von Eindrücken, Vorgängen, Geräuschen, Gerüchen oder Gefühlen. Er schreibt unerreicht haptisch – ein Hochgenuß, Seite für Seite.  
 
„Gianfranco Calligarich hat mit „Der letzte Sommer in der Stadt“ einen Roman voller Wunder geschrieben, einen Roman, der auf jeder Seite Fellinis „La Dolce Vita“ und Paolo Sorrentinos „La Grande Bellezza“ heraufbeschwört und durch seine schwindelerregende Unrast fasziniert“, schreibt der Verlag im Klappentext – und trifft es recht genau.
Die einfühlsame Übersetzung Karin Kriegers ist ein dem Original ebenbürtiges Meisterwerk geworden – sprachlich von höchster Eleganz und Bildhaftigkeit. Der außergewöhnlich eloquent geschriebene ganz große kleine Roman „Der letzte Sommer in der Stadt ist unser Buch des Monats und wird mit unserem höchsten Prädikat, dem Musenkuß* (mit Sternchen) ausgezeichnet.
 
Gianfranco Calligarich – „Der letzte Sommer in der Stadt“
Roman
© 2022 Zsolnay-Verlag, 204 Seiten, gebunden - ISBN-13: 9783552072756
Originaltitel: L'Ultima Estate in Citta – Aus dem Italienischen von Karin Krieger
22,- €