Trickreiche eineinhalb Kinostunden

„Taktik“ von Hans-Günther Bücking und Marion Mitterhammer

von Renate Wagner

Taktik
Österreich  2021 

Regie: Hans-Günther Bücking und Marion Mitterhammer
Mit: Harald Krassnitzer, Simon Hatzl, Michou Friesz, Bojana Golenac, Marion Mitterhammer, Michael Thomas, Anoushiravan Mohseni u.a.
 
Hier steht man vor dem interessanten Versuch, einen österreichischen Independent-Film im Stil eines amerikanischen Psychothrillers zu machen. Die fernsehbekannte Schauspielerin Marion Mitterhammer (im allgemeinen  für mondäne Frauentypen eingesetzt) und ihr Ehemann, der Regisseur Hans-Günther Bücking, haben als Drehbuchautoren, Produzenten und Regisseure (und Frau Mitterhammer spielt auch noch mit) einen Film auf die Beine gestellt, der äußerlich Krimi-Unterhaltungsware ist, aber doch mehr beabsichtigt und auch mehr erreicht. Man kann darüber ganz gut nachdenken und diskutieren.
Die Handlung basiert auf einer „wahren Geschichte“ – man muß sich also nicht fragen, wer erfunden hat, daß es drei Sträflingen gelungen ist, sich Bomben zu basteln (denn, wie es vermutlich so richtig heißt, „im Gefängnis bekommt man alles“, Nägel und Schrauben in Mineralwasserflaschen plus brennbarem Gemisch reicht ja schon, um Menschen in Stücke zu reißen). Damit haben sie sich in der Kantine des Grazer Hochsicherheitsgefängnisses verschanzt und erheben mit drei Frauen als Geiseln die Forderung nach Lösegeld und einem Hubschrauber. Es ist in der Wirklichkeit passiert.
Aber es stimmt auch, daß es einem „einfachen Polizisten“, einem Mann ohne weitere Spezialausbildung, gelungen ist, die Täter so lange hinzuhalten, bis die Cobra-Leute dem Spuk ein Ende setzen konnten. Die Gesprächsprotokolle dieses Mannes haben sich Mitterhammer / Bücking, als Vorlage für die Dialogszenen des Films genommen, den Rest haben sie wohl nach eigenem Ermessen ausgeschmückt – mit einem Neben-Fokus auf die gefangenen und übel gedemütigten Frauen.
 
Das Hauptaugenmerk gilt allerdings dem Antagonismus der beiden Hauptfiguren: Der Anführer der „Täter“ ist ein gewisser Aloysius Steindl, im Gefängnis als „harter Hund“ und gewalttätig bekannt. Auf der anderen Seite wird der Polizist Fredl Hollerer ans Verhandlungstelefon geschoben, weil er gerade da ist und man auf den „Spezialisten“ aus Wien warten muß (der in seiner hochmütigen Schnösel-Attitüde dann von Steindl als Gesprächspartner sofort abgelehnt wird).
Steindl ist der intellektuelle Kopf des Unternehmens und hat zwei ungute Mittäter (alle „schwere Jungs, mit denen nicht zu spaßen ist“, wie die Gefängnisleitung weiß): Der ehemalige Fleischhauer und Zuhälter Hans Grobbauer ist der brutale Prolo, wie er im Buche steht, und dem arabischen Terroristen Abdullah (der das Bombenbauen in den Ausbildungscamps gelernt hat) möchte man nicht im Dunkeln begegnen… Allerdings haben die beiden gewissermaßen nur „Nebenrollen“, Grobbauer für die lustvolle, fiese Demütigung der gefangenen Frauen zuständig, Abdullah die stete Bedrohung im Hintergrund…
Der Titel „Taktik“ bezieht sich nun auf den Eiertanz des Verhandlers, den dieser rein aus Instinkt unternimmt –  zu wittern, wie sein Gegenüber tickt, ihm mit großer Höflichkeit und scheinbarem Verständnis begegnen, ihn auf seinen Intellekt und seine angebliche „Ehrenmann“-Haltung anzusprechen – kurz, zu schmeicheln, daß es nicht höher geht. Simon Hatzl macht das so vorzüglich, daß es ein Vergnügen ist, ihm zuzusehen, wie er seinen „Taktik“-Lernprozeß unternimmt und mit  Demutsgesten gewissermaßen Schritt für Schritt vorwärts kommt.
Auf der anderen Seite kann der Film natürlich mit einer medialen Bombe aufwarten – Harald Krassnitzer, der meist übel gelaunte „Tatort“-Kommissar, normalerweise auf der Seite der „Guten“, ist diesmal der fraglos Böse. Zerrupft im Aussehen, faszinierend in seinen Stimmungsschwankungen zwischen jovial und tödlich bedrohlich, liefert er einen Seiltanz der Emotionen, eitel und plaudersüchtig, weil sich endlich jemand für ihn interessiert, aber wohl wissend, daß er immer wieder klar machen muß, daß er und seine Mittäter nichts zu verlieren haben, also durchaus bereit sind, sich selbst mit den drei Frauen in die Luft zu sprengen… Krassnitzer hat sich Sprache und Mentalität dieses nicht unintelligenten, aber letztlich zu eitlen Mannes brillant zu eigen gemacht.
Diese drei Frauen – Michou Friesz, Bojana Golenac und Marion Mitterhammer persönlich – werden von den Tätern nicht nur körperlich und seelisch bedroht, sondern auch als Verhandlungsobjekte eingesetzt, die am Telefon die Polizei immer wieder zur Eile antreiben müssen. In der Gewalt von Michael Thomas und Anoushiravan Mohseni, Idealbesetzungen für ihre Rollen, möchte man sich wirklich nicht befinden…
Eine kleinere Rolle spielen die Überlegungen von Gefängnisverwaltung und Polizei, die vorgeben müssen, auf die Forderungen der Täter einzugehen, obwohl sie nicht die geringste Absicht dazu haben. Ein Virtuosenstück wird dem Verhandler abverlangt, wenn er erklären muß, der Hubschrauber könne einfach nicht dort landen, wo es die Verbrecher fordern, der Pilot sage, es sei unmöglich…
 
Es sind trickreiche eineinhalb Kinostunden, die nur selten durchhängen und die Atmosphäre und die Spannung der Situation exzellent einfangen. Man fragt sich nur eines – wenn Marion Mitterhammer und Hans-Günther Bücking zwei so evident begabte Filmemacher sind, warum haben sie sich nicht ein substanzielleres Thema gewählt? Oder ist „Taktik“ nur die Fingerübung, um zu zeigen, was man kann (und dank der Besetzung und der Handlung Publikum ins Kino zu holen) – und die wirklich interessanten Sachen kommen erst?
 
 
Renate Wagner