Es war einmal in Essen...
Die traurige Geschichte eines erfolgreichen Intendanten
Wichtige Vorrede Weil er so erfolgreich war, wurde er gestern überraschend entlassen. Kaum zu glauben, aber wahr. Michael Kaufmann hat in viereinhalb Jahren die Essener Philharmonie zu einem der Top-Häuser Europas gemacht. Alle Kollegen vom OPERNFREUND sind immer gerne in die Essener Philharmonie gegangen. Nicht nur wegen des perfekten Gestühls und der tollen Akustik, sondern auch und in erster Linie wegen einer Programmvielfalt, die für jeden Geschmack etwas anbot: alternative Vielfalt in hoher Qualität. Für seine anspruchsvolle Programmauswahl wurde Michael Kaufmann sogar prämiert. Jetzt scheiterte er an der kleinkrämerischen Provinzialität allzu größenwahnsinniger Essener Lokalpolitiker, die plötzlich feststellen mußten: Beides geht nicht, entweder Kulturhauptstadt des Landes 2010, oder weiterhin ein qualitativ hochwertiges Kulturprogramm in der Philharmonie. Man wählte die Kulturhauptstadt! Kaufmann mußte gehen – ein tragisches Bauernopfer. Was ist passiert? Die ganze Geschichte müssen wir, schon aus rein rechtlichen Gründen, in Form eines Märchens erzählen; es wird sich als wahres Märchen entpuppen. Wetten daß? Ein Märchen? Liebe Kinder! Dies ist ein Märchen für Erwachsene (und von Erwachsenen), denn es handelt von Intrigen, Lügen und Gemeinheiten, von einer spektakulären Prinzenkrönung bis hin zum Königsmord. Wobei natürlich Könige immer selber schuld sind, wenn sie ermordet werden, daß müßt Ihr wissen! Und Politiker sind immer böse und eigennützig. Nun ist unser Held, nennen wir ihn einfach „König Michael Kaufmann“ noch nicht tot, aber Rufmord kann auf glattem Eis schnell tief hinab in die nächste Gletscherspalte führen. Doch jetzt geht es los. Es war einmal Es war einmal eine schöne Stadt in einem Land, das hieß Nordrhein-Westfalen, und die hieß Essen. Sie hatte eigentlich alles, was ihre Bürger erfreute: Ein tolles Opernhaus, ein prima Ballett, eines der besten deutschen Schauspielhäuser und dazu sogar noch eine schöne neue prächtige Philharmonie. Damit kamen die Stadtoberen so gerade zurecht, ohne ihre Bürger allzu sehr steuerlich schröpfen zu müssen. Alle waren glücklich. Doch die Regenten wollten mehr, deshalb bewarb man sich (natürlich ohne die Bürger zu fragen) um den Rang und Ruhm der „Kulturhauptstadt 2010“ - und gewann den Wettbewerb ganz überraschend; das war leicht, denn im Gegensatz zu den Mitbewerbern hatte man wahre Wunder versprochen. Zauberer sollten kommen, die die Sterne vom Himmel holen, gigantische Feste für die Bevölkerung waren geplant und Essen, ich meine Geselchtes, Gesottenes, sowie am Spieß gebratene Wildschweine und Getränke sollte es für alle Teilnehmer umsonst geben. Künstler aus aller Welt würden uns erfreuen. Und am Ende, quasi als Höhepunkt, sollte in einer gigantischen Operation sogar die Diva assuluta, die unerreichte Maria Callas posthum auf die Erde nach Essen zurückgeklont werden und ein Konzert geben. Wow! Ran an die Buletten! Also sparen. Aber wo? Erstmal ran an die Buletten der Hochkultur. Was ein richtiger Musentempel ist, der steht auch noch auf drei Säulen, statt der obligaten zehn. Nehmt doch einmal aus Eurem Wir-bauen-einen-antiken-Tempel-Baukasten-Spiel einfach sieben der drei Säulen weg. Na? Wenn ihr nicht alle auf einer Seite entfernt habt, steht das Dach noch. Super! So sahen es auch die von den Stadtoberen beauftragten Sparminister: Hauptsache das Dach stürzt nicht ein! Wo also sparen? Nun sollte das Ballett dran glauben. Aber „Schwanensee“ mit nur sechs Tänzern? Na immerhin tauschte man den alten teuren Ballettchef gegen einen preiswerteren aus. Und alle Tänzer mußten schwören, daß sie für die nächsten hundert Jahre auf jegliche Gehaltserhöhung verzichteten. Beckmesser Man war schon bereit, die Kulturhauptstadt 2010 abzusagen, als ein Mitglied des Stadtrates, Dr. Jago (!) Beckmesser (!), eine Idee hatte: „Laßt uns doch mal in den Geschäftsbüchern der Philharmonieverwaltung buddeln, bis wir irgend etwas finden. Notfalls sollten wir vielleicht einfach etwas erfinden!“ Denn eines war klar, wie in allen anderen städtisch-bürokratischen Betrieben liefen auch die Bilanzen der Philharmonie nach dem Motto: Ausgeben, was da ist + Mehrwertsteuer. Diese 19 Prozent Dispo holen wir mit einem Nachtrags- oder Ergänzungshaushalt nächstes Jahr schon wieder rein, das hat immer geklappt; außerdem gibt es ja noch die Sponsoren. Eine Übernahme mit freundlicher Erlaubnis des "Opernfreund"
Redaktion: Frank Becker |