Jan Minařík †

Einer der letzten wirklich großen Protagonisten des Tanztheaters ist gestorben

von Frank Becker

Jan Minařík ca. 1980 - Foto © Archiv Musenblätter
Jan Minařík †
 
Jan Minařík (Jan Minarik; Jean Mindo) * 25. August 1945 in Prag,
† 26. Juni 2022 in Cecin/Tschechien
 
Jan Minařík war der erste und über Jahrzehnte einer der wichtigsten Solisten des Tanztheaters Pina Bausch und wurde nach seinem altersbedingten Ausscheiden aus der Tanzkompagnie sowohl von Pina Bausch wie auch von ihren Nachfolgern immer wieder als Berater engagiert. Zuletzt half er 2020 bei der Neuinszenierung seines Sensationserfolgs „Blaubart“ (1977) in der Wuppertaler Oper und wurde im selben Jahr für eine ebensolche nach London engagiert. 2021 war seine wuchtige Erscheinung in einer Robert-Sturm-Inszenierung von „Moby Dick“  neben einigen anderen großen alten Männern des Tanztheaters und des Schauspiels wie Jean Laurent Sasportes, Mark Sieczkarek, Ed Kortlandt, Jörg Reimers, Bernd Kuschmann und Pierre Siegenthaler zu sehen. Am 26. Juni 2022 ist Jan Minařík auf seinem Bauernhof in Cecin gestorben.
 
Jan Minařík machte nach einer Koch-Lehre (er war ein begnadeter Koch) in Prag eine Ausbildung zum klassischen Ballett-Tänzer. 1969 floh er nach der Niederschlagung des Prager Frühlings in der Tschechoslowakei durch russische Panzer nach Österreich und wurde nach einem Intermezzo am Tiroler Landestheater Innsbruck beim renommierten Wuppertaler Operballett unter Ivan Sertic als Solo-Tänzer engagiert. Seine Sprungkraft und seine Hebungen (Dornröschen, Die steinerne Blume u.a.m.) waren legendär. Nachdem 1973 Wuppertals Generalintendant Intendant Arno Wüstenhöfer die Leitung des Balletts der jungen, innovativen Folkwang-Choreographin Pina Bausch anvertraut hatte, war Jan Minařík einer, der das Experiment unterstützte, in Wuppertal blieb und das bald weltberühmte Tanztheater Wuppertal maßgeblich mitprägte. „Er wurde zu einem der ganz wichtigen Darsteller und Mitarbeiter des Tanztheaters“, erinnerte sich Pina Bausch. Stücke wie Komm tanz mit mir, Renate wandert aus, Café Müller, Kontakthof, Arien, Nelken, Walzer, Palermo Palermo, Der Fensterputzer, Masurca Fogo u.v.a.m. sind ohne ihn nicht zu denken. Von Anbeginn war er während der Probenarbeit und auf den weltweiten Tourneen des Ensembles mit der Kamera dabei und machte mit wachem Blick zahllose Schwarz/Weiß-Aufnahmen von der privaten Seite des Ensembles, von den Städten der Gastspiele und vor allem von Pina Bausch, mit der er bis zu deren plötzlichem Tod im Jahr 2009 eng befreundet war. Die Fotos, die er im eigenen Labor entwickelte und bearbeitete, sind unschätzbare Zeitdokumente. 1981 heiratete er in zweiter Ehe Beatrice Libonati, seine Kollegin am Tanztheater Pina Bausch, mit der er eine Tochter und einen Sohn bekam.
 

Jan Minařík 2011 Foto © Frank Becker

Jan Minařík war ein Hüne von kraftvoller Eleganz, ein Tänzer aus Passion, der im wahrsten Wortsinn eine Stütze für seine Partnerinnen auf der Bühne war. Zugleich war er ein kritischer Betrachter der Kunst - auch seiner eigenen -, ein liebevoller Familienvater, ein herzlicher, humorvoller Freund, leidenschaftlicher Freizeitlandwirt, Hobby-Trompeter und überaus großzügiger Gastgeber. Bei der Präsentation ihrer Lyrik-Bände unterstützte er seine Frau organisatorisch und als Vorleser. Gemeinsam lebten Jan Minařík und seine Frau Beatrice Libonati auf ihrem schmucken Bauernhof in Cecin/Bela n Radbuzou in Tschechien, wenn sie nicht irgendwo in Europa als Lehrende und Berater gebraucht wurden. Dort ist Jan Minařík, einer der letzten wirklich großen Protagonisten des Tanztheaters vorgestern gestorben. Er wird seinen vielen Fans und seinen Freunden, darunter ganz besonders mir, unvergessen bleiben. Mein Mitgefühl gilt seiner geliebten Beatrice und den Kindern Hana und Nepomuk. Meine Trauer ist groß.

 Frank Becker
 

Jan Minařík, Selbstporträt ca. 1973 - Foto © Archiv Musenblätter