Trödelmarkt im Hinterhof

Was Atomkraft mit Tempolimit zu tun hat

von Lothar Leuschen

Foto © Anna Schwartz
Trödelmarkt im Hinterhof
 
Was Atomkraft mit Tempolimit zu tun hat
 
Von Lothar Leuschen
 
Die einen nennen es Kuhhandel, die anderen Kompromiß. Beides gehört zur Politik wie zwei Kugeln Eis im Hörnchen zum Sommer. Schwierig wird es nur, wenn Kuhhandel oder Kompromißsuche nicht auf der Basis von Notwendigkeiten und Fakten besprochen werden, sondern auf der Basis von Prinzipien und Ideologie. So ist das in Deutschland seit Jahren schon bei der Frage, ob auf den Autobahnen endlich ein Tempolimit gelten soll. Die Grünen sind strikt dafür, die FDP ist strikt dagegen, und die CDU will offensichtlich mit sich handeln lassen. Wenn die drei restlichen Atomkraftwerke in Deutschland ein paar Monate länger betrieben werden können, sagt Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn, dann könnte es sein, daß die Christdemokraten sich nicht mehr gegen das Tempolimit sperren. Aufs erste Hören klingt das vernünftig. Doch schon ein paar Sekunden später melden sich Zweifel. Was hat denn Atomkraft mit der Geschwindigkeit von Autos auf den Autobahnen zu tun? Nichts. Eigentlich.

Tatsächlich aber gibt es einen Zusammenhang. Wenn auf den Autobahnen in Deutschland langsamer gefahren wird, entstehen weniger schädliche Abgase. Und Atomkraft wäre ziemlich sauber, gäbe es da nicht die verbrauchten Brennstäbe, die noch Hunderte von Jahren tödlich strahlen. Aber um Umwelt und Klima geht es ja gar nicht. Es geht um Prinzipien und Ideologie. Dabei steht eigentlich schon fest, daß es zu diesem Kuhhandel nicht kommen wird. Die Betreiber der Atomkraftwerke wollen keine Laufzeitverlängerung. Sie wäre schlicht zu teuer und damit nicht profitabel.
 
In dieser Situation hilft ein Blick nach Westen. In den Niederlanden gilt auf vielen Autobahnkilometern Tempo 100 bis 19 Uhr und dann Tempo 120 bis 7 Uhr morgens. Das ließe sich beispielsweise mit 120 am Tag als Pflicht- und Tempo 130 in der Nacht als Richtgeschwindigkeit auch in Deutschland so regeln. Das hülfe den Grünen, der FDP, der Umwelt und dem Klima. Und das ohne Ideologie, ohne Prinzipien, ohne Geschacher wie auf einem Trödelmarkt im Hinterhof.
 
 
Der Kommentar erschien am 19. Juli 2022 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.