Eine tragische, aber auch müde Geschichte

„Märzengrund“ von Adrian Goiginger

von Renate Wagner

Märzengrund
Österreich, Deutschland 2022 

Regie:  Adrian Goiginger
Mit: Jakob Mader, Johannes Krisch, Gerti Drassl, Harald Windisch u.a.
 
Aussteigergeschichten gibt es „im wahren Leben“ viele, gelungene und mißlungene, und daß einzelne Menschen im Widerstand zur Gesellschaft ihren eigenen Weg gehen, fasziniert diese Gesellschaft, die immer in ihren vorgegebenen Grenzen dümpelt, ungemein. Darum finden sie vor allem in der Literatur so breite Resonanz. Felix Mitterer hat, inspiriert von wahren Begebenheiten, wie es heißt, mit „Märzengrund“ ein Theaterstück darüber geschrieben, das nun auch auf die Leinwand kam – mit den Tiroler Almen (wohlgemerkt: nicht das schroffe Hochgebirge!) als sanft-schönem Hintergrund.
 
Elias, der Aussteiger der Geschichte, ist kein Zukurzgkommener des Lebens, im Gegenteil. Der Vater (Harald Windisch) repräsentiert im Tirol der Sechziger Jahre Macht und Pracht des Zillertaler Großbauerntums – und einer Welt, wo von Generation zur Generation ganz selbstverständlich über die nächste bestimmt wird. Also bekommt Sohn Elias die beste Ausbildung und natürlich ein Auto, um ihn über seine Altersgenossen zu heben, aber dafür soll er auch funktionieren wie vorgesehen, das stolze Geschlecht erfolgreich weiterführen. Auch die Mutter (Gerti Drassl) definiert sich über diesen Sohn, bringt ihm heimlich Bücher, „aber net, daß der Vater dich beim Lesen derwischt“.
Diese Welt um den jungen Elias (Jakob Mader) wird plausibel gezeichnet, aber wenn es um die psychologische Entwicklung des Jungen geht, läßt das Drehbuch eigentlich aus. Es ist möglich, daß er unter dem Erwartungsdruck einknickt, es ist nicht unlogisch, ihn ein halbes Jahr allein auf die Alm zu schicken, damit er gewissermaßen „gestärkt“ zurückkehrt. Aber warum der Elias dann zwischen Gras und Vieh bleiben will, statt sein privilegiertes Jungbauern- Schicksal anzunehmen – dafür könnte der Autor ein paar Begründungen mehr finden. Verbal andeutungsweise, obwohl die Tiroler ja nicht unbedingt gesprächig sind („Was sich wie eine Straf angefühlt hat, ist der größte Segen, ich habe endlich meinen Platz in der Gesellschaft gefunden – nämlich weit weg von ihr“), aber das ist mehr eine hingestellte Behauptung als wirklich überzeugend. Wenn es um die anderen geht, der Vater, der den Sohn daraufhin regelrecht verleugnet, wenn er nicht ins Bild paßt, (und die Gattin beschuldigt, ihm einen Bastard ins Nest gelegt zu haben), die auf ihren Buam so eifersüchtige Mutter, die sich nicht zu helfen weiß, da ist die Geschichte allemal stärker…
Sie springt dann schnell zu dem alten Elias, den Johannes Krisch, urtümlich und bärtig, in Wurzelsepp-Manier verkörpert. Wenn er im wild-sprudelnden Bach sitzt und sich offenbar kannibalisch wohl dabei fühlt, gibt es ein Stückchen Ahnung von der Freiheit, die ein nur von der Natur bestimmtes Leben bietet, aber eben nur ein wenig. Und bald schon kommt der Alte – schwerkrank – ins Spital, wo Besucher ihm einreden wollen, er dürfe ja bald auf seine Alm zurück, während das Krankenhauspersonal freundlich keinen Zweifel daran läßt, daß er bis ans Ende hier an das Bett gefesselt sein wird.
 
Regisseur Adrian Goiginger läßt die Geschichte in einer Art Salon-Tirolerisch ablaufen, was nötig ist, da die originale Sprache von Deutschsprechenden nicht unbedingt verstanden würde. Die Geschichte läuft langsam, will besinnlich sein, ist es streckenweise auch, wird aber in der Bedeutungsschwere auch penetrant und entgeht der Langeweile nicht. Wie immer will Mitterer eine positive Aussage vermitteln – ein bisserl dünn ist das Ganze halt. So bleibt es nicht nur eine tragische, sondern auch müde Geschichte über etwas, das eigentlich überzeugend von Befreiung erzählen sollte.
 
 
Renate Wagner