Zum Tod von Jean-Jacques Sempé

von Joachim Klinger

© Joachim Klinger

 

Als ich am 18. 04. 2022 90 Jahre alt wurde, dachte ich: „Ob es Sempé auch schafft?“
Und ich schrieb:
 
Wenn ich den Tod von J. J. Sempé erleben sollte, werde ich sagen (schreiben) „Was für ein Verlust! Zeichner, Maler, Poet, Philosoph, Humorist und vor allem Menschenfreund.“
Er hat uns gezeigt, daß in der oft unerträglichen Menschenmasse Kleinbürger leben, die uns Hoffnung machen. Ja, sie sind Durchschnitt, mittelmäßig begabt, kaum ansehnlich und wenig bemerkenswert. Aber sie sind gutherzig, pfiffig und nachdenklich, fähig zu Zärtlichkeit und einfühlsamer Freundschaft. Manchmal haben sie Ideen, Träume und Pläne, die überraschen. Sie haben eine Ahnung von Größe, Fülle und Pracht, streben das alles aber nicht an. In Dankbarkeit und Respekt verneigen sie sich vor dem Unendlichen, dem sie näher kommen als geniale Wissenschaftler.
Wir müssen sie lieben, auch die Glatzköpfe und Bäuchlein, auch die vollschlanken Endfünfzigerinnen mit aufgetürmter Frisur. Sie alle züchten Blumen, radeln vergnügt, musizieren im Schein der untergehenden Sonne und finden letzte Zufriedenheit in dem Häuschen auf dem Lande, das ständiger Reparatur bedarf. Genügsam sind sie, übermütig dann und wann und bescheidene Weintrinker. Die Gewalt der Dämonen geht an ihnen vorüber wie ein Luftzug, den sie kaum spüren, und das Böse bleibt fern, weil es erfolglos wäre. –
Ach, wie können wir sie noch treffen, wenn Sempé sind uns nicht mehr zuführt?!
 
Joachim Klinger 2022