Putin eskaliert

Kein Gas mehr aus Rußland

von Lothar Leuschen

Foto © Anna Schwartz
Kein Gas mehr aus Rußland
 
Putin eskaliert
 
Von Lothar Leuschen
 
Anscheinend sind die deutschen Gastanks dem Kreml inzwischen zu schnell zu voll geworden. Möglicherweise hat auch die panische Debatte über die Energieversorgung bei Wladimir Putin den Eindruck erweckt, daß sein Spiel mit Nord Stream 1 besser funktioniert, als er gehofft hatte. Auf jeden Fall fließt ab sofort kein Brennstoff mehr durch die Leitung. Gazprom hat abgedreht und führt als Begründung Reparaturarbeiten an einer Turbine an. Genauso gut hätten die Lenker des Staatskonzerns auf eine Erkältungswelle ihrer Ingenieure oder darauf verweisen können, daß die Monteure bis auf Weiteres nicht über saubere Blaumänner verfügen oder ihre Werkzeuge verliehen haben. Wahrheit oder Lüge? In diesem Fall ist das egal. Die nächsten Tage könnten einerseits zeigen, wie sehr Putin vor allem die deutsche Politik im Griff hat. Andererseits kann sich die Aufregung eigentlich kaum noch steigern. Die Regierung steht unter Hochdruck und packt ein Entlastungspaket nach dem anderen. Bei so viel Packerei bleibt bisher anscheinend keine Zeit für die Entwicklung einer Strategie.
 
Dabei könnte die nächste Eskalation Rußlands aber auch zeigen, daß dem Kriegsherrn im Kreml die Kraft ausgeht. Geheimdienste berichten davon, daß es den Russen immer schwerer fällt, Soldaten für ihre Armee zu finden. Die Verluste an Mensch und Material scheinen immens zu sein. Da kann es aus Sicht Putins sinnvoll sein, den Westen, vor allem Deutschland, mit Spielchen ums Gas so zu quälen, daß die Treue zur Ukraine Risse bekommt. Erste Debatten-Versuche über das Öffnen von Nord Stream 2 mögen ihn ermutigt haben.
 
Letztlich aber ändert sich für Deutschland nicht viel dadurch, daß der Gasfluß nun zum Erliegen kommt. Auch vor der Ankündigung von Gasprom war klar, daß der Konjunkturlokomotive der EU unbedingt ohne Energie aus Rußland auskommen muß. Nun steigt lediglich der Druck, Antworten auf die Frage zu finden, ob Atom- und Kohlekraftwerke wieder ans Netz gehen beziehungsweise länger am Netz bleiben sollen. So einfach ist das - und so schwierig.
 
 
Der Kommentar erschien am 3. September 2022 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.