Der Wein in Goethes Leben (1)

Ein önologischer Spaziergang

von Heinz Rölleke

Foto: Archiv Musenblätter
Der Wein in Goethes Leben (1)
 
Von Heinz Rölleke
 
Goethes langes Leben ist auch dadurch charakterisiert, daß bei seinem Eintritt in diese Welt wie bei seinem Fortgang von ihr der Wein eine Rolle spielt. In „Dichtung und Wahrheit“ erinnert Goethe an seine Geburt am 28. August 1749 um 12 Uhr mittags in Frankfurt am Main:
 
„So ward ich denn geboren oder vielmehr aus der Mutter herausgezogen, fast wie tot, mit schwarzem, krausen Haar. In einem Bad heißen Weines, das einem andern hätte gefährlich werden können, kam ich zu Kräften.“
 
Und von seinem Sterbetag, dem 22. März 1832 in Weimar, wird durch den Augenzeugen Coudray berichtet:
 
„Gegen 9 Uhr verlangte Goethe Wasser mit Wein zum Trinken, und als ihm solches dargereicht wurde, sah ich, wie er sich im Sessel ohne alle Hülfe aufrichtete, das Glas faßte und solches in drei Zügen leer trank. Dann verlangte er eine Gabel und Frühstück. Friedrich reichte ein Glas Wein und Wasser. Goethe fragte „Du hast mir doch keinen Zucker in den Wein getan?“
 
Eine Stunde später, nämlich mittags 11 Uhr 30, ist Goethe gestorben. Wir dürfen annehmen, daß der Wein sein Lebensretter zu Beginn seines Daseins war, und daß die beiden Glas Wein, die er kurz vor seinem Tod genoß, seine letzte Labung waren, der er auch ein letztes besorgtes Wort widmete, daß nämlich hoffentlich niemand dem Wein Zucker beigemischt habe. [Auch beim Tod von Goethes „Werther“ heißt es: „Von dem Wein hatte er nur ein Glas getrunken.“]
 
Aber nicht nur Goethes Eintritt ins Leben ist bedeutsam mit dem Wein verknüpft, sondern auch schon die Vorgeschichte seines Daseins.
 
         Valentin Schröder († 1640), einer seiner Urahnen, war Weinhändler in Schwarzenberg und seit 1602 verehelicht mit einer Frau Barbara Rebenstock - welch passender Name! Goethes Mutter, die bei seier Geburt 18-jährige Catharina Textor, stammt in der 4. Generation aus dieser Verbindung. - - - Nb. in Hanau von besonderem Interesse, daß ihre Cousine 3. Grades, Dorthea Viehmann, die bedeutendste Beiträger zu Grimms Märchen wurde. Frau Viehmann war also eine Cousine 4. Grades von Goethe.
 
(herausgemendelt: Deutschlands größter Dichter und die wichtigste Märchenerzählerin für Grimms weltberühmte Sammlung waren direkt miteinander verwandt – die Verwandtschaft läuft über Goethes Mutter, von der er nach eigener Angabe „die Lust zu fabulieren“ geerbt hat – sie erzählte Märchen, Viehmann auch...)
 
Nicht nur der Mutter-Stammbaum, sondern auch der des Vaters Johann Caspar Goethe hat mit Wein zu tun – und das noch direkter und in gewissem Sinn entscheidender. Der Reichtum, der Goethe Vater und Sohn ein Leben ohne Brotberuf ermöglichte, nämlich eine Erbschaft von fast 100.000 Gulden, war durch Goethes Großvater Friedrich Georg Göthe († 1730) in die Familie gelangt. Er stammte aus einem winzigen Dorf in Thüringen, war von Beruf Damenschneidermeister und hatte bis zur Aufhebung des Edikts von Nantes (1685) in Lyon gelebt, kam von dort nicht eben betucht nach Frankfurt und heiratete 1705 die Gastwirtswitwe Cornelia Schelhorn. Diese brachte nicht nur den „Weidenhof“, eine der vornehmsten Gaststätten Frankfurts, mit in die Ehe, sondern auch einen sehr gut florierenden Weinhandel. [An der Stelle des Weidenhofs steht heute übrigens der Kaufhof in Frankfurt an der Hauptwache (Zeil 116)].
 
„Der Gasthof an der Zeil war in der Messestadt ein gutes      
Geschäft, die Haupteinnahme aber war der Weinhandel. Vor
allem Moselwein wurde in den Zeiten, da der Westen dauernd        
Kriegsgebiet war, von den Weinbauern schnell und billig      
losgeschlagen und hier scheint Großvater Goethe große         
Spekulationen durchgeführt zu haben. Er brachte ein   
Familienvermögen von 90.000 Gulden zusammen – eine Summe  
von der Sohn und Enkel üppig leben konnten, ohne selbst   
berufstätig auf Gelderwerb angewiesen zu sein.“
 
Großvater Goethe besaß auch einen Weinberg. Das Sandsteintor wurde später in das Gärtchen des Frankfurter Goethehauses am Großen Hirschgraben verbracht, wo es heute noch in Originalgestalt vorhanden ist, weil es, im Garten stehend, im Gegensatz zum Goetheschen Wohnhaus, das Bombardement vom 22. März 1944 unbeschadet überstand.
 
       Die erste Dichtung des 7-jährigen Lateinschülers handelt natürlich --- wie war es auch anders zu erwarten - vom Wein:
 
         Licetne tecum ire in cellam vinariam? usw.
         Frei übersetzt auf deutsch: „Darf ich mit dir in den Weinkeller gehen;
         ich höre, daß die Fässer nachgefüllt werden sollen, eine      
         Angelegenheit, über die ich Genaueres wissen möchte.
 
(zur Erklärung: angezapfte Weinfässer, die nicht ganz ausgetrunken wurden, sollen zur Vermeidung der Oxydation nachgefüllt werden. Für den Siebenjährigen ist das keine schlechte Talentprobe, was das Dichten wie was die Weinkenntnis betrifft)
Vielleicht hat Goethes Vater auf Grund dieser Talentprobe das Kind bald darauf zum ersten Mal mit in seinen Weinkeller geführt; daran hat sich Goethe lebenslänglich erinnert.
 
       Der Weinkeller im Frankfurter Goethehaus war stadtbekannt, und als die verwitwete Mutter Goethe im Januar 1794 eine Vermögensaufstellung machte, da waren neben dem erwähnten Weinberg etliche Lagen z. T. köstlichster Weine anzugeben: „5 Stück alte Weine von 1706 [ein Stück umfaßt 1200 Liter!], 1 Stück von 1726, 3 Stück von unserm Garten von 1747, der aber schlecht ist“ (wie Mutter Goethe ehrlich schreibt [*** das ist übrigens bis heute so geblieben: Der Weinberg des Goethehauses u. s. Folgen)], „die jüngsten von 1789, denn“, schreibt die Kennerin Frau Rat Goethe: „seit Jahren gab’s keinen Herbst“. Man kann mit dieser Aufstellung Goethes Bestandsaufnahme seines Weimarer Weinkellers vom 4. Mai 1816 vergleichen:
 
         105 Fl. Burgunder
         42 Fl. Frankfurter Rheinwein
         3 Fl. Elsässer
         10 Fl. Frankfurter Eilfer
         6 Fl. Würzburger
         6 Fl. Lunel
         26 Fl. Würzburger Stein
 
Seit seiner Kindheit ist Goethe an den Wein und den vielfältigen Umgang mit dieser edlen Gottesgabe gewöhnt. Er nennt und braucht ihn als „Erquickungstrank“ (wie es auch noch in „Faust I“ heißt) vor allem bei allen Mahlzeiten, als „Stimmungsverbesserer“ und als „Sorgenbrecher“. Besonders als Medizinalgetränkt schätzte und empfahl er immer wieder den Wein. Dafür nur zwei Beispiele: Als sein Weimarer Bettschatz Christiane Vulpius erkrankte und Goethe auf Reisen ist, schreibt er ihr am 24. September 1800:
       „Ich bin wie Dein Arzt der Meinung, daß Du nicht so wenig Wein trinken sollst und Champagner besonders. Hier auf unserm Plan ist doch das Scharlachfieber erschröcklich. Götze (der Hausgenosse) fing an zu klagen. Ich war sehr bange. Da habe ich ihn mit zwei Gläsern rotem Wein so weit gebracht, daß er den andern Tag wieder rumlief.“
 
Über den kranken Freund Heinrich Meyer schreibt Goethe 1802 an Schiller:
       „Hätte er sich, statt Pyrmonter Wasser hier teuer in der Apotheke zu bezahlen, ein Kistchen Portwein zur rechten Zeit von Bremen verschrieben, so sollte es wohl anders mit ihm aussehen.“
 
Wein gehörte nicht nur in kranken Tagen zum täglichen Bedarf, wie es lakonisch aus einem Brief an Frau von Stein (vom 2. Februar 1785) erhellt:
       „Der gestrige Wein hat wieder seine wohltätigen Wirkungen gezeigt, ich habe sehr gut geschlafen und befinde mich wohl.“
 
Dabei zielte Goethe wirklich auf den Wein als solchen und keinesfalls bloß auf den Alkohol, denn starke alkoholische Getränke, wie Cognac und Schnäpse aller Art, lehnte er entschieden ab und bedauerte etwa den angeblich abträglichen Gebrauch, den u.a. sein Schwager Vulpius oder auch Schiller von solchen Mitteln zur geistigen Auffrischung machten. Hinter der gemäßigten Formulierung des alten Goethe im Jahr 1828 Eckermann gegenüber erkennt man seine Ablehnung und seinen Tadel solcher Usancen:
       „Schiller hat nie viel getrunken, er war sehr mäßig; aber in ... Augenblicken körperlicher Schwäche suchte er seine Kräfte durch etwas Likör oder ähnliches Spirituoses zu steigern. Dies aber zehrte an seiner Gesundheit und war auch den Produktionen selbst schädlich.“
 
Im gleichen Jahr spricht er gegenüber Eckermann davon, daß im Wein „allerdings produktivmachende Kräfte sehr bedeutender Art“ liegen [***das Wort „bedeutend“ bei Goethe!!].


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am kommenden Sonntag weiter an dieser Stelle.