Signal aus Tübingen

Palmers Sieg ist eine Niederlage für die Grünen

von Lothar Leuschen

Foto © Anna Schwartz
Signal aus Tübingen
 
Palmers Sieg ist eine Niederlage für die Grünen
 
Von Lothar Leuschen
 
Das Ergebnis spricht Bände. Nicht nur, daß Boris Palmer mit weit mehr als 50 Prozent im ersten Wahlgang als Oberbürgermeister von Tübingen im Amt bestätigt worden ist. Statt der sonst üblichen knapp 45 Prozent haben sich auch noch weit mehr als 60 Prozent der Berechtigten an dieser Kommunalwahl beteiligt. Wenn ein Oberbürgermeister in Deutschland von sich behaupten kann, demokratisch legitimiert zu sein, dann ist das der streitbare Grüne, der seine Parteimitgliedschaft bis Ende 2023 ruhen lassen muß. Er liegt im Streit mit den Seinen. Die Grünen haben ihren kommunalen Superstar entliebt, nach und nach, getrieben von Aussagen des Kommunalpolitikers, die so gar nicht in die grüne Verbalhygiene passen. Boris Palmer hatte eine Werbekampagne der Bahn kritisiert, auf deren Foto nur Menschen mit Migrationshintergrund zu sehen war. Seine Frage, ob das die deutsche Gesellschaft abbildet, war berechtigt. Und die Antwort lautet nein, ist aber kein Votum gegen Migration. Palmer machte auch mit der nachweislich richtigen Aussage von sich reden, dass Deutschland nicht allen helfen könne, die Zahl der Flüchtlinge natürlich begrenzt sei. Auch das weiß jeder. Gleichzeitig ist es keine Abkehr von der Erkenntnis, dass Deutschland eine Pflicht hat, in Not Geratenen Zuflucht zu bieten.
 
       Boris Palmer sagt, was viele denken. Und in jeder anderen demokratischen Partei fände er dafür Zuspruch sowie Gegenrede. Bei den Grünen droht ihm der Rauswurf. Denn die organisierten Klimaschützer haben, anders als die SPD, ihren innerparteilichen Flügelkampf noch immer nicht im Griff. Und je länger die Beteiligung an der Bundesregierung mit SPD und FDP dauert, je mehr Waffenlieferungs- und AKW-Laufzeit-Kompromisse die Mandatsträger machen müssen, desto mehr brodelt es wieder an der Basis. Dabei zeigt Palmer in Tübingen, wie grüne Politik vor allem bei den Themen Energiewende und Klimaschutz dank Widerhall in der breiten Bürgerschaft wirken kann. Daß er so deutlich und schon in der ersten Runde wiedergewählt wurde, sollte grünen Betonideologen zu denken geben.
 
 
Der Kommentar erschien am 25. Oktober 2022 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.