Bürgergeld: Falsche Politik zur falschen Zeit

Ein Kommentar

von Lothar Leuschen

Foto © Anna Schwartz
Selbstreinigung
 
Bürgergeld: Falsche Politik zur falschen Zeit
 
Von Lothar Leuschen
 
Diese Vorlage hat selbst die Union nicht verstolpern können. Auf dem Weg, sich mit der Oppositionsrolle im Bundestag abzufinden, liefert die Ampel-Regierung CDU und CSU in diesen Wochen reichlich Kraftfutter. Ein Bundeskanzler, dem ob seiner China- und Europa-Politik längst nicht alle folgen können, eine Regierung, die bisweilen den Eindruck erweckt, der außerordentlichen Last des Alltags nicht gewachsen zu sein, und dann auch noch das Bürgergeld. Es ließe sich leicht mit „Fundamentalopposition“ abtun, dass die Union mit einem Veto im Bundesrat droht. Und sicher spielt bei den Nachforderungen eine Rolle, dass CDU und CSU die Ampelregierung vor sich hertreiben wollen. Aber aus der Nähe betrachtet, ist der Widerstand gegen das Bürgergeld vor allem eines: Er ist richtig.
 
       Dabei ist es ohne Zweifel an der Zeit gewesen, sich mit den Hartz-Reformen zu beschäftigen, mit denen die SPD Deutschland um die Jahrtausendwende aus seiner Trägheit geweckt hat. Die Zeiten ändern sich, Gesellschaften ändern sich, dann müssen sich auch Instrumentarien ändern, mit denen eine Gesellschaft Wirtschaft und Soziales organisiert. Die Hartz-Reformen sind für viel zu viele Menschen eine Sackgasse geworden, zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel, vor allem aber keine Perspektive, weil Fördern und Fordern zu oft nichts anderes mehr waren als Sachstandsverwaltung.
 
       Aber die Reformen von einst haben mehr verdient, als vom Bürgergeld abgelöst zu werden, auch wenn sich die SPD von heute für die Arbeit von damals schämt. Denn nur noch zu fördern und weitestgehend auf das Fordern zu verzichten, hilft am Ende niemandem. Auch nicht den Hilfeempfängern. Aber nicht nur deshalb ist es richtig, dass die Union Verschärfungen fordert. Vor wenigen Tagen hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Nation auf ein schwieriges Jahrzehnt und Wohlstandsverlust vorbereitet. Es ist demnach jetzt nicht die Zeit für den bemutternden Staat. Und es ist die falsche Zeit für die Selbstreinigung der SPD.
 

Der Kommentar erschien am 31. Oktober 2022 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.