Zeiten des Umbruchs
(Armageddon Time) - USA 2022 Drehbuch und Regie: James Grey
Mit: Banks Repeta, Anthony Hopkins, Anne Hathaway, Jeremy Strong, Ryan Sell, Jaylin Webb, Jessica Chastain u.a.
Wenn ein Film im Original den Begriff „Armageddon“ im Titel trägt, erwartet man, daß Bruce Willis um die Ecke kommt und die Welt rettet. Gut, man weiß, daß er mittlerweile zu alt dafür ist, aber ein besserer wurde noch nicht gefunden. Glücklicherweise braucht man ihn in dem Film, der auf Deutsch eigentlich viel treffender „Zeiten des Umbruchs“ heißt, nicht. Da kann sich ein jüdischer Teenager selbst retten, indem er sich auf die Werte besinnt, die sein Großvater ihm mitgegeben hat…
Zuerst muß von Regisseur James Grey die Rede sein, Jahrgang 1969, Sohn eingewanderter ukrainischer Juden, der bisher einen bunten Mix von Filmen, teils populär, teils anspruchsvoll, vorgelegt hat. Was diesen Streifen so bemerkenswert macht, ist die spürbare Authentizität, denn er erzählt – mit einigen Variationen – seine eigene Geschichte. Damals, als er Anfang der Achtziger Jahre ein Teenager in New York war, Sohn einer geradezu brodelnden jüdischen Familie, in seiner Normalschule befreundet mit einem Schwarzen, dem klassischen Underdog der Gesellschaft.
Da wird viel Zeit des Films für die wirbelnde Familie aufgewendet. Anne Hathaway hat ihren jugendlichen Zauber zurückgelassen und spielt Esther, die geplagte Mutter zweier Söhne. Der halbwüchsige Ted (Ryan Sell) ist ein aggressiver Grobian, der es in seiner Elite-Schule und dann im Leben wohl weit bringen wird. Daß Esther „nur“ einen Klempner geheiratet hat, wird von Großmutter und Tante, die wie alte Nornen am Familientisch sitzen und nörgeln, wohl lebenslang mit Naserümpfen bedacht. Nur Großvater Aaron (eine ganz, ganz großartige Rolle für Anthony Hopkins) bringt dem Schwiegersohn Irving (Jeremy Strong) schlechtweg anständiges Verhalten und Sympathie entgegen. Sein Liebling ist der jüngere Sohn Paul (eine Idealbesetzung: Banks Repeta), um den es in dem Film geht.
In einer jüdischen Familie, wo man aufstiegsbewußt orientiert ist, setzt man auf diesen eher „langsamen“ Sohn keine große Hoffnung, darum wird er auch in eine Allgemeinschule geschickt. Sie könnte rassisch kaum „gemischter“ sein, die Lehrer aggressiv und überfordert, Paul wird für seine Späße und seine Mal-Ambitionen (er will Künstler werden) nur gerüffelt.
Zentrales Thema des Films ist aber die Freundschaft Pauls mit dem jungen Schwarzen Jonathan (Jaylin Webb), der auch von den Juden (obwohl sie wissen, wie Diskriminierung schmeckt und sich lauthals darüber beklagen) abgelehnt wird. Da die Verhältnisse zuhause nicht eben ideal sind (der Vater peitscht auch einmal auf Paul ein), beschließen die beiden Jungen, nach Florida zu „fliehen“. Bei dem Versuch, sich Geld zu verschaffen, werden sie erwischt. Wunderbar balanciert der Film aus, wie Paul, als man ihn nun auch in die Eliteschule des Bruders steckt, auf einmal nicht mehr die Courage hat, zu seinem farbigen Freund zu stehen (und herzzerreißend das Wissen dieses schwarzen Kindes, daß er im Leben keine Chancen hat).
Aber da ist noch der Großvater, der Fels in der Brandung für Paul, der lebensweise Mann, der nie vergessen kann, daß Juden jederzeit alles Schlimme zustoßen kann, aber nicht mit der Bitterkeit der anderen Familienmitglieder darauf reagiert. Vielmehr ist es ihm wichtig, dem Enkel mit großer menschlicher Wärme schlichte Werte des Anstands mitzugeben. Und als in Pauls Schule die Familie Trump als leuchtendes Beispiel der erfolgreichen WASPs auftreten und Donalds Schwester Maryanne (wobei Jessica Chastain es schafft, wie ein Ebenbild von Ivanka Trump zu wirken) eine aggressiv-flammende Rede hält, sich den Staat untertan zu machen, indem sie die „Elite-Schüler“ auffordert, dereinst die Herren über Politik, Gerichte, Wirtschaft und Banken zu sein – da dreht sich Paul um und geht. Sein Ebenbild James Grey ist zwar nicht Maler in Florida, aber Regisseur in Hollywood geworden – und hat diese Geschichte der aufdämmernden Reagan-Ära in einen besonderen Film verwandelt.
Gewiß, den „amerikanischen Traum“ hat es nie gegeben, nur weil es eine Handvoll Menschen von Null zu Millionären gebracht haben. Der wahre Traum wäre jener der Gleichheit der Menschen („Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“) – und das war immer nur eine ideale Forderung: Sie ist nicht nur in den USA, sie ist auf der ganzen Welt bis heute nicht erfüllt (und wird es wohl nie sein). Nur Einzelne – wie am Beispiel von Paul gezeigt – können sich von Vorurteilen und Zwängen frei machen, auch in Ären der besonderen Ungleichheit wie Reagan oder später Trump. Aber der Film ist ehrlich genug zu zeigen, daß der junge Schwarze damals unter die Räder gekommen ist…
Renate Wagner
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