Herbst

von Hanns Dieter Hüsch

© Paul Maaßen
Herbst
 
Ich weiß ja nicht, ob Sie den Herbst lieben. „Aber es kommt keiner von uns drum herum“, sage ich immer zu meiner Frau. Denn der Herbst ist nicht nur eine Jahreszeit, sondern auch ein Zustand. Denn wenn wir mal Herbst haben, haben wir bald Winter. „Wie heißt doch das schöne Gedicht von mir?“ habe ich meine Frau gefragt und gleich zitiert:
 
„Die Bäume sind bald alle gleich,
ein Hund sucht seinen Herrn.
Die Blätter machen Blätterteig,
das ham wir gern!
Die Welt sieht bald wie London aus,
viel Nebel, sonst nicht viel dahinter.
Ein Mann kauft einen Asternstrauß,
denn übermorgen ham wir Winter!“
 
Ich meine, so schnell geht es ja nun wieder nicht. Und mit Astern darf ich meiner Frau schon gar nicht kommen. Denn für meine Frau ist eigentlich immer noch Sommer. Und sie lernt immer noch Spanisch! Wir waren in den Ferien nämlich in Spanien. Für Anfänger natürlich. Sie lernt Sätze wie: „Möchten Sie diese Kathedrale kaufen?“ „Nein danke, Wir wollen einen Olivenhain mieten.“ Sie sehen, es ist gar nicht so einfach mit dem Herbstanfang. Denn der Herbst ist ja nicht ein Zustand - wie gesagt -, er ist auch ein Symbol. Die fallenden Blätter und das alles. Die Natur ist müde, fängt an zu gähnen kurz vor dem Winterschlaf. Aber ich habe zu meiner Frau gesagt: „Die Herbstabende sind oft schöner als die Sommerabende. Und zur Feier des Tages höre ich jetzt noch einmal dein Spanisch ab. Also: ,Können Sie mir meinen Friseur färben lassen? ,Wie viel kostet die Kittelschürze?'“ Und dann antwortet meine Frau: „,Nein danke, ich möchte einen Messerschnitt mit Blick auf das Meer.' Was heißt Fleckenwasser auf Spanisch?“ Und ich antworte dann: „El Quitamanches!“ Da können Sie mal sehen, wie gut wir eingespielt sind. In Spanien und im Herbst. Obwohl wir uns in Spanien beinahe noch eine Eiweißvergiftung zugezogen hätten im letzten Moment. Wir konnten ja wieder den deutschen Hals nicht voll genug kriegen mit Austern und Jakobsmuscheln und Venusmuscheln und wie das Zeug alles heißt und schmeckt. Der ganze Langustenkram und so weiter. Ich kann heute noch keinen Fisch sehen. Deswegen ist es auch ganz gut, daß jetzt der Herbst kommt und wir alle wieder endgültig zu Hause sind. Und wenn jetzt die Tage langsam wieder kürzer und die Abende langsam wieder länger werden, nehmen wir unsere Erinnerungen zur Hand und ich frage meine Frau: „In welchem Gepäckträger wohnen Sie?“ Und sie antwortet: „Nein, danke, wir essen aus dem Koffer.“ Wie schon gesagt: Der Herbst ist nicht nur eine Jahreszeit, ein Zustand, ein Symbol, sondern auch eine Erfahrung! Und in diesem Sinne wünsche ich allen Ehepaaren der Welt einen guten neuen Herbstanfang! „Möchten Sie von meiner Zahnpasta kosten?“ „Danke, Sie haben mir sehr geholfen! Adios!“
 
 

© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" (1999) in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Das Foto stellte dankenswerterweise Paul Maaßen zur Verfügung.