Welterfolg trotz mieser Quote

von Detlef Färber

Detlef Färber - Foto © Silvio Kison
Welterfolg trotz mieser Quote
 
Die Aufregung steigt. Wo ist der Sack, wo der rote Mantel, wo sind die dicken Filzstiefel? Der Bart juckt schon, hoffentlich sind's keine Läuse. Ach, ist ja nur ein Bart mit Gummizug hinterm Ohr. Aber wie war das noch mal mit dem ersten Satz, diesem alles entscheidenden Satz, nach dem immer gleich klar ist, wie der Hase läuft. Wie komm ich jetzt auf Hase? Jeder Schauspieler weiß, daß er die Leute im Saal vom ersten Moment an kriegen muß, damit sich die Magie seines Spiels entfalten kann. Weil die Sache sonst vor den Baum geht. Wie komm ich jetzt auf Baum ~ ach ja: Der Baum steht im Walde, und da ist er schon, mein erster Satz: Draußen vom Walde komm ich her Gestatten, ich bin der Weihnachtsmann und bin, wie alle Jahre wieder, bei mehreren Kindern im Einsatz.
       Der Schwierigkeitsgrad ist diesmal extrem unterschiedlich. Zuerst ein Weihnachtsmann-Debüt bei einem zweijährigen Jungen, dann ein dreijähriges Mädchen im besten Alter aus Weihnachtsmannsicht und schließlich noch eine Fünfjährige, die wohl schon Abschied von mir nehmen muß. Der Kleine am Anfang wird meine leichteste Übung, wenn er gut drauf ist. Und wenn er sich nicht erschreckt. Wird aber nicht passieren, denn der Weihnachtsmann weiß da einen Trick. Er setzt sich einfach auf den Fußboden - auf Augenhöhe mit dem Gegenüber. Das hat letztes Jahr bei dem dreijährigen Mädchen auch geklappt, als es noch zwei war: wunderbar geklappt. Die Kleine hat sich sogar auf meinen Schoß gesetzt und mir - Sternstunde meiner Weihnachtsmannkarriere - ein Küßchen in den weißen Bart gedrückt.
Das wird diesmal schwieriger, denn inzwischen ist diesem Kind die ganze Tragweite eines Weihnachtsmannbesuchs bewußt: Draußen vom Wald kommt er her, sein Sack ist schwer und irgendwie weiß er, was man sich als Kind alles wünscht. Und auch sonst weiß er und sieht er so ziemlich alles, dieser Weihnachtsmann - trotz so viel Heimlichkeit. Wie aufregend das alles ist!
       Bei diesem Kind muß der Weihnachtsmann also stehenbleiben und sich in voller Größe vor ihm aufbauen. Damit es auch richtig zu ihm aufschauen kann. Auch danach, bei dem fünfjährigen Mädchen, kommt es auf die volle Größe und großartige Erscheinung des Weihnachtsmanns an. Denn eigentlich sollte er - also ich ~ dieses Jahr hier gar nicht noch mal kommen. Doch das Mädchen wollte es unbedingt, denn es ist eins dieser hoffnungslos romantischen Kinder, die schon ahnen, was sie ohne Weihnachtsmann verlieren. Zwar haben sie von nüchtern in die Welt blickenden Altersgenossen oder Nachbarskindern schon mal so was läuten hören: Indizien, Argumente und Verdachtsmomente dahingehend, daß es an der realen Existenz dieses Weißbarts im roten Mantel erheblich hapern könnte.
       Aber nein: Stimmt ja gar nicht! So was will so ein Kind nicht hören. Denn insgeheim gehört es schon zu jenem stillen Kreis von Leuten, die wissen, wie man unbeirrt an etwas festhält, das eigentlich nicht wahr sein kann: Das zu schön wäre, um wahr zu sein. Die unbeirrbare Lust des Mädchens auf das jährliche kleine Drama ganz für sie allein ist pure Kreativität. Auch Forscher, Künstler und Tüftler glauben so lange an etwas, das es eigentlich nicht geben kann, bis sie ihr jeweiliges Unding endlich erfunden, entworfen oder sonst wie kreiert haben: kraft der Kunst des Unmöglichen.
       Und am Anfang solcher Lebensläufe steht fast immer auch ein Weihnachtsmann. Einer, der - wie ich dann gleich ~ mit etlichen Mitwissern und Komplizen für ein einziges Kind Theater spielt. Das ist die mieseste aller Quoten! Jedem Fernseh-Intendanten, Bühnenprinzipal oder Kultusminister müßten da die Haare zu Berge stehen. Trotzdem ist das kurze Solostück ein Welterfolg. Und warum? Weil der Weihnachtsmann diese Leute nicht erst fragen muß.
 

© Detlef Färber