Jeder Griff mußte sitzen

Zum Tod von Wolf Erlbruch

von Frank Becker


Jeder Griff mußte sitzen

Zum Tod von Wolf Erlbruch

In Wuppertal lebte und arbeitete einer der ganz Großen der Buchillustration. Ein stiller, liebenswürdiger Mann, der eigentlich gar nicht mochte, daß man viel Aufhebens um ihn machte, jedoch zu höflich war, dem wohlmeinenden Drängen zu widerstehen.
 
Die Rede ist von Wolf Erlbruch, Zeichner, Autor, Illustrator von Kinderbüchern, Familienvater und emeritierter Professor an der Bergischen Universität Wuppertal.
Wolf Erlbruchs Bücher aus dem Wuppertaler Peter Hammer Verlag und in den Verlagen Antje Kunstmann, Hanser, Carlsen, Querido und Rowohlt erschienen, nahmen stets vordere Plätze in den Bestenlisten ein. National und international wurden seine Bücher vielfach ausgezeichnet, so mit dem Gutenberg-Preis, dem e.o. plauen Preis, dem Deutschen Jugendbuchpreis (mehrfach) und dem Hans Christian Andersen-Preis. Den „Luchs des Jahres“ bekam er für das zauberhafte Traum-Bilderbuch „Nachts“. Das beschreibt einen wundersamen Spaziergang durch die nächtliche Vorstellungswelt eines Kindes, in meinen Augen eines seiner besten Bücher. Seine größte Ehrung erfuhr der Künstler 2017 mit dem Astrid-Lindgren-Gedächtnispreis, der höchsten internationalen Auszeichnung für Kinder- und Jugendliteratur, die mit 5 Millionen schwedischen Kronen (ca. 455.000,- €) dotiert ist.
 
Es war ein Glücksumstand für den gebürtigen Wuppertaler des Jahrgangs 1948, hier mit dem Peter Hammer Verlag zusammengekommen zu sein - ebenso anders herum. Die gemeinsame Arbeit mit Verleger Hermann Schulz und dessen Nachfolgerin Monika Bilstein hat wunderschöne Bücher hervorgebracht, so „Frau Meier, die Amsel“, „Die Fürchterlichen Fünf“, Jürg Schubigers „Zwei die sich lieben“,Gioconda Bellis „Die Werkstatt der Schmetterlinge“ und eben „Nachts“. Zu Wolf Erlbruchs Lieblingsbüchern zählen „Das Hexeneinmaleins“, „Frau Meier...“ - wobei die Großeltern Pate standen - und als erklärte Lieblingsarbeit das „Neue ABC-Buch“ nach einem Text des Aufklärers Karl Philipp Moritz aus dem Jahr 1790, Erlbruchs bei Kunstmann erschienener Band. Eine moralisch-poetische Reise durch Alphabet und Philosophie ist es, ein pädagogisches Elementarbuch zu grundsätzlichen Dingen des Lebens, „zum Lesenlernen, Denkenlernen, Guckenlernen“. Es sind der leise, liebenswerte Humor und die grenzenlose Fantasie bis zur Skurrilität, die Erlbruchs Texte und Bilder - Zeichnungen, Collagen, Montagen gleichermaßen auszeichnen und wertvoll machen, wie auch ihre moralische Qualität. Frühe Vorbilder hat Erlbruch kaum, „das Bücherregal der Eltern gab nicht viel her“. Ein Buch mit farbigen japanischen Holzschnitten aber hat er immer wieder durchgeblättert. Weltruhm erlangte Wolf Erlbruch mit seinen Zeichnungen zu dem in 40 Sprachen übersetzte Best- und Longseller Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“ von Werner Holzwarth.


Kinder hatte Erlbruch als Adressaten seiner Kunst sehr bald entdeckt, weil sie „alles sehen können“. Und da er auf dem Standpunkt stand, daß Kinder keineswegs infantil sind, arbeitete er mit der Prämisse, sie ernst zu nehmen, Kinder und Kindheit zu „entsüßlichen“. Zudem machte er Kinderbücher - der Erfolg gibt ihm Recht - nicht nur für Kinder, er erarbeitete die Geschichten auch für sich und andere Erwachsene, folgte dem eigenen Wunsch nach Ästhetik und Zeichenkunst, bei der jeder Griff sitzen mußte. Daß Kinder in einer komplexeren Welt als Erwachsene leben und daß er dies verinnerlicht hatte, lassen seine einfühlsamen Texte und Zeichnungen erkennen.

Wolf Erlbruch (1948-2022) - Foto © Frank Becker


Weil Wolf Erlbruch auch Lehrer war (er lehrte von 1990 bis 1997 als Professor für Illustration an der Fachhochschule Düsseldorf, von 1997 bis 2009 als Professor im Fachbereich Architektur-Design-Kunst an der Bergischen Universität Wuppertal und von 2009 bis 2011 als Professor für Illustration an der Folkwang Universität der Künste in Essen), spielte sein pädagogischer Anspruch ebenfalls eine Rolle. Seine Schwerpunkte formulierte er so: Er wollte seinen Studenten vermitteln, die eigene Erlebniswelt nicht außer Acht zu lassen, Erlebnisfähigkeit wachzurütteln und zu erreichen, daß die Studenten von sich erzählen, anstatt im Medien- und Informationsbrei zu versinken.Vor drei Jahren veröffentlichte der Peter Hammer Verlag ein Excerpt „Aus den Skizzenbüchern“ Erlbruchs und gab damit einen intimen Blick auf seine zeichnerische Arbeit frei.
 
Vor drei Tagen starb Wolf Erlbruch im Alter von 74 Jahren in seiner Heimatstadt Wuppertal.