Das düstere Psychogramm der Epoche

„Emily“ von Frances O’Connor

von Renate Wagner

Emily
GB 2022

Regie: Frances O’Connor
Mit: Emma Mackey, Oliver Jackson-Cohen, Adrian Dunbar,
Fionn Whitehead, Alexandra Dowling u,a,
 
Pastor Bronte hatte einen Sohn und drei Töchter, die alle in die englische Literaturgeschichte eingegangen sind. Charlotte, die Älteste, mit dem Roman „Jane Eyre“, Emily mit dem Roman „Wuthering Heights“ und die Jüngste, Anne, mit zwei Romanen, darunter „Agnes Grey“. Daß drei junge Frauen in dem für ihr Geschlecht so repressiven England in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schreibend über die Stellung der Frau reflektierten, ist ein einmaliger Sonderfall in der Literaturgeschichte, zumal die großen Romane von allen dreien im gleichen Jahr, 1847, erschienen.
 
Alle drei starben jung, als erste jene Emily, der die Filmemacherin Frances O’Connor nun einen nicht eben „spannenden“, aber durchaus aufschlußreichen biographischen Film gewidmet hat. Es gibt sehr viel Landschaft aus Yorkshire, schlechtes englisches Wetter, die „stürmischen Höhen“, wie Emily ihren Roman benannte, sind atmosphärisch immer da. Und das enge, nüchterne Leben im Pfarrhaus mit dem Vater (Adrian Dunbar) und der den Haushalt führenden Tante. Im Gegensatz zu den angepaßten Schwestern Charlotte (Alexandra Dowling) und Anne (Sacha Parkinson) ist sie eigenbrödlerisch, gesteht ihre Phantasiewelten nur dem Bruder Branwell (Fionn Whitehead), der natürlich die Freiheiten der Männer genießt – aber darunter auch Alkohol und Drogen versteht und erkennen muß, daß er mit seinen dichterischen Ambitionen Emily nicht das Wasser reichen kann. Dazu kommt eine ungemein aufwendige Filmmusik zwischen Minimalismus und gewaltigem Aufrauschen, die eine Spur Dramatik in das Geschehen würzt.
Von einer Heirat der Pastorentöchter ist nicht die Rede, sie sollen als Gouvernanten zum Budget der Familie beitragen, und so kommt es auch. Ihren Roman, den die ältere Schwester verabscheut, weil Emily keine sympathischen Menschen geschildert hat, kann sie nur unter einem Männernamen veröffentlichen. Ein Jahr darauf ist sie an Lungenentzündung gestorben, gerade einmal dreißig Jahre alt.
 
Das hat, abgesehen von einer Romanze mit William Weightman (Oliver Jackson-Cohen), einem Gehilfen ihres Vaters (eine Beziehung, die historisch nicht wirklich erwiesen ist), nicht viel Handlung. Aber viel Stimmung, viel soziale Spannung angesichts der absoluten Hoffnungslosigkeit der Frauenschicksale, auch einiges über familiäre Interaktion zwischen den Schwestern und dem Bruder. Tragischer Alltag – und wieso drei Schriftstellerinnen daraus erwuchsen, das wird nicht völlig klar.
Aber da gibt es in Gestalt der schönen, so verschlossen wirkenden Emma Mackey eine durchaus faszinierende Hauptdarstellerin, die immer fesselt. Rund um sie edel besetzte englische Schauspielkunst. Freilich, wie eine Romanverfilmung eines Werks aus dem 19. Jahrhundert wirkt dieser Film nicht – eine solche müßte gefälliger, „effektvoller“ sein, während die Regisseurin fast nüchtern das düstere Psychogramm der Epoche zeichnet.
 
 
Renate Wagner