Eine Geschichte über Machtmißbrauch und schrankenlose Geilheit

„She Said“ von Maria Schrader

von Renate Wagner

She Said
USA 2022

Regie: Maria Schrader
Mit: Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson u.a.
 
Jeder kennt die Namen von Bob Woodward und Carl Bernstein, die 1974 die Watergate-Affäre aufdeckten und damit Richard Nixon wegen Amtsmißbrauchs davon gejagt haben. Die Namen von Megan Twohey und Jodi Kantor sind hingegen kaum bekannt, obwohl sie 2017 für ihre Zeit nicht weniger leisteten. Indem sie an den Pranger stellten, worüber damals jeder schwieg, nämlich den alltäglichen sexuellen Missbrauch in Hollywood, brachten sie nicht nur mit Harvey Weinstein einen Hauptschuldigen hinter Gitter, sie traten auch die Bewegung #metoo los, die in kürzester Zeit zu einer Weltmacht wurde (die noch heute stark präsent ist).
„She said“ hieß eines der Bücher, die die beiden Investigativ-Journalistinnen (die sich davor schon erfolgreich auf die Spur national-amerikanischer Skandale gesetzt hatten) zu diesem Thema veröffentlicht haben. Und so nennt auch die deutsche Schauspielerin Maria Schrader, die seit einigen Jahren zur bemerkenswerten und viel bemerkten Regisseurin aufgestiegen ist, ihren ersten in Hollywood hergestellten Film zum Thema.
 
Vor drei Jahren schon war das Thema der sexuellen Nötigumg – bzw. daß sich Frauen dagegen wehrten – mit „Bombshell“ sehr effektiv auf der Leinwand. Damals sah man, wie hochbezahlte Frauen in einem Fernsehsender ihre Jobs riskierten (die sie dann auch verloren haben), um die Übergriffe ihrer Chefs öffentlich zu machen. Ein Stein, der aus dem Gemäuer heraus gebrochen wurde. Und ein starbesetzter Hochglanzfilm.
Hingegen kennt man Maria Schraders unaufgeregte Art zu erzählen aus früheren Filmen, und diesem Prinzip bleibt sie auch hier treu. Sie zeichnet ziemlich nüchtern nach, wie zwei junge, aber in ihrem Job erfahrene Frauen (beide waren damals Mitte 30) die Spur dessen aufnahmen, was damals gewissermaßen akzeptierte Selbstverständlichkeit war, und als wie schwierig es sich herausstellte, betroffene Frauen zum Reden zu bringen – entweder, weil diese von dem Erlebten traumatisiert waren, oder weil sie befürchteten, sonst keinen Job mehr in der Branche zu bekommen. Für Schauspielerinnen aus der zweiten Reihe, die der Weinstein-Konzern abwürgen konnte, war das besonders schwierig – Ashley Judd, deren Karriere nachweislich daran gescheitert ist, tritt kurz als sie selbst auf.
 
Unspektakulär, ohne den gefälligen Chic, der Journalistinnen auf der Leinwand sonst umstrahlt, spielen Carey Mulligan die Megan Twohey und Zoe Kazan die Jodi Kantor. Erstere ist während der Recherchen schwanger und bekommt ihr Kind, letztere hat schon mehrere Kinder – und beide verfügen glücklicherweise über die neue Form von Softie-Ehemännern, die ohne Reklamation akzeptieren, daß für die Gattin die Arbeit oft wichtiger ist als die Familie – und die, offenbar Home Office-Männer, schweigend die Haushaltsverpflichtungen unternehmen. Die Kehrseite der Medaille dessen, was aufgedeckt wird.
Die Journalistinnen hangeln sich von einem Opfer zum nächsten. Allerdings ist das schamhafte Zögern vieler Frauen auch ein wenig affektiert (aber sie haben wenigstens noch Schamgefühl, auch wenn es die Männer sind, die sich schämen sollten), und manchmal auch schrecklich sentimental: Jennifer Ehle spielt Laura Madden, im Internet als „Weinstein’s Irish Victim“ bezeichnet, als todkranke Frau, die angesichts des Todes sprechen will, damit ihre Töchter dergleichen nie erleben müssen.
Wesentliches Element sind die bekannten Argumente der Gegenseite – die Frauen legten es ihrerseits ja darauf an, sie seien nur allzu bereit gewesen, sich für ihre Karrieren hochzuschlafen, das „Nein“ der Frauen sei nur eine nicht ernst zu nehmende Finte im erotischen Spiel, der Sex sei immer einvernehmlich gewesen… die alte Umkehrung der Schuld, indem man sie den Beschuldigten auflud. Dazu kamen die Versuche, einerseits mit Drohungen, andererseits mit Geld zu arbeiten, um die Dinge unter den Tisch zu kehren, Daß das endlich nicht mehr funktionierte, war eine Leistung der beiden Journalistinnen der New York Times.
 
Ein wenig ist der Film auch zur Verherrlichung des Journalismus angetreten (der es ja wahrlich nötig hat), und wer je selbst in Redaktionen gearbeitet hat, wird sich nur wundern, welches Maß an Unterstützung und Zuspruch die beiden Journalistinnen von ihren Allerobersten (an der Spitze Patricia Clarkson als faktenbezogene Redakteurin) erhalten haben. Das würde man sich hierzulande wünschen.
Immerhin war es die New York Times, die gegen Weinstein und das Hollywood-System der sexuellen Ausbeutung und Verfügbarkeit antrat, da standen einander zwei Giganten gegenüber. Weinstein sitzt heute in einer Zelle und weiß, daß er verloren hat. Maria Schrader hat die Geschichte seines Falls (wobei er selbst so gut wie nicht vorkommt), sachlich und etwas temperamentlos erzählt. Niemand wird – egal, wie weit der Film von der Realität abweichen mag – die Substanz der Geschichte über Machtmißbrauch und schrankenlose Geilheit beiseite schieben, nivellieren, leugnen oder weglachen können.
 
 
Renate Wagner