Die Unfähigkeit zu lieben

Markus Dietz inszeniert in Bochum Eugene O´Neills "Trauer muß Elektra tragen"

von Frank Becker

Die Unfähigkeit zu lieben...



In Markus Dietz Bochumer Inszenierung von
O´Neills "Elektra" gehen die Darsteller baden

Premiere am 17.10.2008


Regie: Markus Dietz  -  Bühne: Mayke Hegger  -  Kostüme: Ines Nadler  -  Musik: Ole Schmidt  -  Klaviereinspielung: Jan Gerdes  -  Licht: Andreas Bartsch  -  Dramaturgie: Dietmar Böck  -  Fotos: Hans Jörg Michel

Christine: Christine Schönfeld  -  Orin: Marc Oliver Schulze  -  Lavinia: Louisa Stroux  -  Ezra Mannon: Charles Brauer  -  Adam Brant: Stefan Schießleder  -  Hazel Niles: Karin Moog  -  Peter Niles: Martin Bretschneider


Binsenweisheiten

"Wenn du erst mal eine griffige Überschrift hast, fließt der Rest leicht aus der Feder." - Diese in Rezensenten-Kreisen kolportierte Weisheit geht bei der Inszenierung
der Bochumer "Elektra" nicht auf. Überschriften waren während der Premiere reichlich zur Hand, sie sprangen einen, spottbereit, förmlich an. Ein paar Beispiele: "Elektra-Schock für Ödipus", "Die Pfütze im Wohnzimmer", "Orest auf nassen Socken", "Sieben kleine Negerlein", "Feuchte Träume", "Göttin in goldenen Pumps" u.s.w....
Doch Markus Dietz´ Inszenierung ist zu ernsthaft, zu substanziell, um hier mit dem Entsetzen und den gequälten Charakteren Scherz zu treiben. Was unter dem Strich blieb, ist vor allem Achtung vor der grandiosen Entäußerung der Schauspieler in der unter die Haut gehenden Tragödie.

Abgespeckt

Man sieht schon an der abgespeckten Besetzungsliste und an der Spieldauer von nur drei Stunden

Ekel...  -  Charles Brauer, Christine Schönfeld
(inkl. Pause), daß sich Markus Dietz und Dietmar Böck zwar sicher mit Respekt, doch auch mit harscher Schere Eugene O´Neills Opus magnum genähert haben. Das Personal des auf der Orestie des Aischylos fußenden Dramas, das seinem Autor maßgeblich 1936 den Nobelpreis für Literatur einbrachte, ist auf die notwendigsten (wobei ich mir nicht anmaßen möchte, zu entscheiden, wer notwendig ist und wer nicht) Charaktere reduziert worden. Sieben Personen beherrschen die von Akt zu Akt düsterer werdende Szene. Griechische Tragödie und Siegmund Freuds Definition der Ödipus-/ Elektra-Komplexe verschmelzen zu einem tödlichen Strudel der Leidenschaften, welcher die dramatis personae in den Schlund der eigenen Hölle zieht. Wo der Styx anfangs noch ein merkwürdig anmutendes Wasserbecken in der Wohnlandschaft der Mannons ist, wird seine Breite zunehmen, die Protagonisten auf eine Insel zwingen, schließlich den Bühnenraum fast vollständig ausfüllen und die vom unerbittlichen Schicksal Getriebenen im vom Blut der Opfer getränkten Wasser waten, morden, raufen und sterben lassen.

Hanebüchen


Eifersucht...  -  Stefan Schießleder, Christine Schönfeld
Die Geschichte ist so hanebüchen, wie zu Theaterstücken modellierte mythologische griechische Dramen nun mal sind. Des Generals schöne jüngere Frau Christine (Christine Schönfeld) liebt den Gatten (Charles Brauer) schon lange nicht mehr, hat ihre Liebe erst auf den Sohn Orin (Marc Oliver Schulze) und schließlich auf den illegitimen Neffen ihres Mannes, den Kapitän
Adam Brant (Stefan Schießleder) übertragen. Haß schlägt ihr von ihrer Tochter Lavinia (Louisa Stroux) entgegen, die den Verrat entdeckt hat und ihrerseits den Vater inzestuös liebt. Die Geschwister Hazel (Karin Moog) und  Peter Niles (Martin Bretschneider), die jeweils Orin bzw. Lavinia lieben, bleiben Randfiguren, quasi Stichwortgeber. Um ihre Leidenschaft zu Adam leben zu können, bringt Christine ihren herzkranken Mann um, indem sie ihm bei einem provozierten Anfall Gift anstelle seiner Medizin gibt. Auch das deckt Lavinia auf und bringt Orin dazu, mit ihrer Hilfe Adam zu töten. Orin verzeiht der Mutter den Mord um den Preis des gelebten Inzests willen, doch Lavinia ruht nicht, bis Christine sich selber richtet. Nun spült in rasendem Haß gegeneinander und verzehrendem Verlangen aufeinander das Wälsungenblut die Geschwister zu einem brutelen Akt der Vergewaltigung zueinander - das Lügengebäude zerbricht endgültig unter dem vielschichtigen Intrigenspiel Lavinias und auch Orin richtet sich selbst. Zurück bleibt, entleert und nur noch Hülle, Lavinia/Elektra.

Spiegelungen

Was macht nun Dietz daraus? Zunächst entledigt er das Stück seines Zeit- und Lokalbezugs zum

Bekenntnisse...  -  Marc Oliver Schulze
Ende des US-Sezessionskrieges1863. Gemeint sein kann nun jeder Krieg in jedem Land. Jeder Konflikt in jeder Dynastie. So wie es O´Neill gemeint hat. Werkimmanent. Die Bühne (Mayke Hegger) ist unterkühltes Feng Shui, ein dunkler Raum, in dessen Hintergrund eine japanische Galerie Auftritte und Abgänge transparent macht. Man wird dort nicht "warm". Niemand. Was an "Liebe" dort zu sein scheint ist Floskel - "Ich liebe Dich", "Ich liebe Dich mehr als...", fast unerträglich permanent und sich immer mehr entleerend wird das Bekenntnis wiederholt. "Ich hasse Dich" bekommt dadurch kaum mehr Gewicht. Schnell wird deutlich: zwischen Liebe und Haß paßt hier nicht einmal ein Blättchen Seidenpapier. Platz für Illusionen gibt es nur in verfliegenden Momenten, Platz für heftige Emotionen allemal. Doch niemand liebt wirklich, nur wechselweise Haßbeteuerungen scheinen als Triebfeder zum Überleben in dieser zerstörten Gesellschaft zu funktionieren, während das mehr und mehr raumgreifende Wasser sich suggestiv auf einer Leinwand der Hinterbühne spiegelt. Dietz hat O´Neill verstanden und mehr umgesetzt, als andere zuvor. Niemand entgeht seiner Strafe. Das ist keine platte Moral, das ist eins ums andere Mal die andere brutale Wahrheit.

Ästhetik

Die Ästhetik Dietz´ kann auf Nacktheit nicht verzichten, doch zeigt er diese trotz aller scheinbaren Vordergründigkeit so zurückhaltend, daß der Gedanke an Anstoß nicht einen Moment aufkommt. Der Auftritt Christines entlang der japanischen Galerie, als sie sich vom Akt mit dem ungeliebten Gatten beschmutzt, im Wasserbecken reinigt, ist nicht zuletzt durch die hohe Kunst der Lichtregie (ein Bravo für Andreas Bartsch!) von einer derart packenden Ästhetik, daß nichts als Ergriffenheit bleibt. Dietz hat die anbetenswürdig makellose Schönheit Christine Schönfelds auf goldenen High-Heels derart überwältigend inszeniert, daß ihm alleine dafür schon ein Theaterpreis gebührt. Eine weitere Auszeichnung wäre auch Ines Nadler zuzusprechen, die mit Christine Schönfelds Kleidern und Schuhen eine Meisterleistung vollbracht hat. Wie die Männer, die in ihre Reichweite kommen, erliegt auch der Zuschauer augenblicklich ihrer Ausstrahlung - und geniert sich augenblicklich seiner Schwäche. Christine Schönfeld beherrscht die Gratwanderung zwischen berechnender Kälte und verzweifelter Liebessehnsucht. Mord und Suizid scheinen die logische Konsequenz.

Spiel-Lust


Trauer...  -  Louisa Stroux
Dietz hat das ebenso brillant herausgearbeitet wie die bis zum Irrsinn von Haß erfüllten Züge ihrer Tochter und Gegenspielerin Lavinia. Louisa Stroux weckt als Lavinia trotz oder vielleicht sogar wegen ihres unversöhnlichen Hasses Mitleid nahe zum Weinen. Die Gebrochenheit, die von dem schmächtigen Körper und den übergroßen Augen ausgeht, rührt. Der Dritte im unseligen Dreieck ist Marc Oliver Schulze, ein Beau, groß, stark, athletisch, schön. Doch auch sein Orin ist zerstört - durch die harte Hand des Vaters, den Krieg und die unerfüllte Liebe zur Mutter. Schulze platzt beinahe vor Spiel-Lust, was ihm von Fall zu Fall sogar (nicht einmal unangebracht) kleine Lacher einträgt. Er zeigt am deutlichsten die zwangsläufig zum Untergang führende Schwäche, die in der Unfähigkeit zu lieben liegt. So intensiv auch Charles Brauer die aus dem einst harten, kalten, nun
müde gewordenen Mann herausbrechende Sehnsucht nach Zärtlichkeit zeigt, so marginal bleibt doch sein Ezra. Auch Stefan Schießleder kann trotz kraftvoller Verkörperung des Opportunisten Adam nicht aufschließen. Bravi dem Trio Schönfeld/Stroux/Schulze und seinem Regisseur!


Weitere Termine:
19.10.2008, 19.00 Uhr , Schauspielhaus  - 28.10.2008, 19.30 Uhr , Schauspielhaus
01.11.2008, 19.00 Uhr , Schauspielhaus - 15.11.2008, 19.30 Uhr , Schauspielhaus  - 16.11.2008, 17.00 Uhr , Schauspielhaus

Weitere Informationen unter: www.schauspielhausbochum.de