Dramaturgisch völlig unausgegoren

„Babylon“ von Damien Chazelle

von Renate Wagner

Babylon
USA 2022

Drehbuch und Rege: Damien Chazelle
Mit: Brad Pitt, Margot Robbie, Diego Calva u.a.
 
Über „Hollywood Babylon“ sind schon zahlreiche Bücher geschrieben worden. Vor allem in der Frühzeit galt die „Traumfabrik“ als Bordell, wo Sex (unhinterfragt, ohne #metoo-Anschuldigungen) als gängige Ware gehandelt wurde und Alkohol und Drogen überreich flossen. (Wie viel sich da heute geändert hat – wer weiß das denn wirklich?)
Regisseur Damien Chazelle, der Hollywood in seinem betulichen „La La Land“ singen und tanzen ließ, schlägt diesmal eine schärfere Tonart an. Wenn er zu dem neuralgischen Zeitpunkt zurück blendet, in das Ende der zwanziger Jahre, wo der Stummfilm starb, der Tonfilm kam und viele Karrieren zerstört wurden, dann feiert er natürlich (anders geht es ja gar nicht) den schillernden Mythos Hollywood, bekleckert ihn aber überbordend und manchmal sogar übertrieben wirkend gleichzeitig mit allem Schmutz, der auffindbar ist. Kurz, Hollywood als Inbegriff der Verworfenheit.
 
Allerdings hat sein mehr als dreistündiges Werk (und das ist sehr, sehr lang) einen gewaltigen Fehler: Es reiht wild Szene an Szene und bleibt dabei dramaturgisch völlig unausgegoren. Das ist kein Ganzes, das ist schlechtweg ein Mosaik aus gelegentlich unzusammenhängend wirkenden, wenn auch meist effektvollen Schlaglichtern. Zwar gibt es drei Hauptfiguren, an die der Kinobesucher sich gewissermaßen halten kann, aber jede von ihnen geht im Lauf der Handlung irgendwann verloren, um dann unter ganz neuen Bedingungen aufzutauchen, ohne daß die Übergänge auch nur angedeutet werden. Der Ermüdungseffekt ist folglich gewaltig, so brillant der Wirbelwind dieses Films auch gemacht sein mag.
Bigger than life gezeigt, zu meist brüllender Musik (mit sehr vielen Zitaten aus dem Opernrepertoire), scheint man es einzig mit einer Schar von Verrückten zu tun zu haben. Das Chaos bei den Dreharbeiten in den Studios, die zügellosen Parties nachts, die verzweifelten Versuche einzelner, sich ins Rampenlicht zu kämpfen. Da sind die Wichtigtuer, da sind die Journalisten, da sonnen sich die Stars in der Bewunderung. Da mischt die Mafia und andere Verbrecher mit, da erlebt man zankende Star-Ehefrauen oder tobende Regisseure
Dabei wird mit dem aus Mexiko kommenden Manny Torres (Diego Calva) ein typisches Greenhorn gezeigt, das alles mit großen Augen bestaunt und nicht glauben kann, was er sieht (ein bißchen wie der Kinozuschauer), der aber dann in winzigen Funktionen in die Traumstadt hinein kommt (anders als der Kinozuschauer). Er wäre eine Hauptfigur, wenn er nicht letztendlich doch nur sporadisch auftauchte.
 
Eine beeindruckende Leistung liefert Brad Pitt als Superstar Jack Conrad (der gute Brad ist halt doch nicht nur schön, noch immer, sondern auch ein glänzender Schauspieler). Er geht den Weg von ganz an der Spitze, wo er eisern routiniert seinen Job erledigt, bis zu der eiskalten Tatsache wenige Jahre später (eine Journalistin sagt es ihm ins Gesicht), daß es für ihn vorbei ist. Pitt vermittelt diese Erkenntnis eines Untergangs geradezu berührend.
Und da ist die immer glänzende Margot Robbie, die als Jungstar Nellie LaRoy zeigt, daß sie absolut alles für ihre Karriere tut („I once fucked him“, sagt sie ganz trocken angesichts eines Mannes) – und daß sie jederzeit jedem alles vorspielen kann, was verlangt ist, nicht nur auf der Leinwand, sondern auch im Leben. Sie und Brad Pitt und wahrscheinlich auch Diego Calva bieten Typen, deren Echtheit man nicht eine Sekunde bezweifelt. Das ist sicherlich eine der Stärken des Films.
 
Viele weitere Typen bevölkern das Geschehen, drehen sich im Reigen der Verrücktheit rund um die Studios – Chazelle hat sich als Drehbuchautor keine Hemmungen und Restriktionen auferlegt. Allerdings hat er neben Pitt und Robbie keine Stars – wenn man bedenkt, wie Nebenrollen früher mit hochrangigen Starnamen (die auch hochrangige Schauspieler waren) besetzt wurden, merkt man hier schon den Abstieg des heutigen Filmgeschäfts.
Und doch gelingt Damien Chazelle etwas, und das will er auch aussagen: Egal, wie schäbig die Umstände sind, unter denen Kino gemacht wird – am Ende vermittelt er doch etwas von dem Zauber, den Film auszustrahlen vermag und dem Millionen Menschen immer wieder erlegen sind und erliegen. Hollywood feiert sich ja doch selbst, auch wenn man noch so viel Selbsterkenntnis vorgibt.
 
 
Renate Wagner