Von den inneren Dämonien

Anela Borcic - „Garbin. Wind der der blauen Schatten“

von Michael Zeller

Von den inneren Dämonien
 
Ein langsam erzählter, stimmiger Prosatext
 
Wie traurig sähe es aus für die Leserschaft in diesem Land, wenn es nicht die kleinen Verlage gäbe, die sich außer für den schnellen Euro noch um andere Werte kümmern, vorrangig literarische.
Erst in diesen Tagen ist mir wieder eine veritable Kostbarkeit aus so einem kleinen Verlag in die Hände gefallen, „Garbin. Wind der Blauen Schatten“ -  die Erzählung einer kroatischen Autorin mit Namen Anela Borcic. Ende vergangenen Jahres ist sie in dem Berliner Verlag Schruf & Stipetic erschienen. Die eine Hälfte des Verlags, Blanka Stipetic, hat gleich auch für die Übersetzung aus dem Kroatischen gesorgt, wo das Buch bereits 2009 herausgekommen war.
 
Die schlanke Erzählung von 150 Seiten spielt auf der dalmatinschen Insel Vis, weit vor der Küste des Festlandes im Mittelmeer gelegen. Eine kleine Insel mit 3500 Einwohnern, und eine davon ist die Autorin selbst. Das merkt man diesem Text positiv an. Der lebt aus dem stürmischen Atem des Meeres ebenso wie aus der trübselig machenden Enge eines Dorfes, vor der immer mehr Menschen Reißaus nehmen aufs Festland.
„Für mich war das Meer seit jeher ein lebendes Wesen, das eine eigenständige, unermessliche Intelligenz besaß, und ich fühlte mich ihm nah. Die Elemente der Insel ordneten sich um mich herum in ihrem eigenen Rhythmus. Fels, Himmel, Einöde, dann wieder Fels … Wir waren einsam, wir beide.”
Das sind Worte von Stipan Tarbuskovic, des Ich-Erzählers und der Seele dieses Buches. Nach Jahren kehrt er auf die Insel zurück, um endlich mit seinen drei Brüdern das elterliche Erbe zu klären, ein leer stehendes, langsam verfallendes  Haus, in dem sie ihre Kindheit verbracht haben. „Vier sture und dickköpfige Männer mittleren Alters” – das kann nicht gutgehen, zumal der jüngste von ihnen, Bubi genannt, den Hauptteil geerbt hat. Und so entwickelt sich eine tief in der Vergangenheit gründende Familientragödie, mit all den Verletztheiten, mit Sehnsucht und Hass und verschmähter und nicht beachteter Liebe, wie das alles nur in einer Familie gedeihen kann. „Der Mangel an Liebe (einer herrschsüchtigen Mutter) hatte ihre Seelen verformt”.
 
Vor allem Stipan, der Älteste und wohl auch Sensibelste dieses Quartetts, hat unter der mütterlichen Härte gelitten. „Ich erlebte mich als Fremden, den ich nicht kontrollieren konnte.” Auch das eigene Leben auf dem Festland scheint ihm nicht geglückt zu sein. Und als er jetzt zurückkommt in das Haus der Kindheit, mit all den Farben und Bildern und Gerüchen,  erlebt er es als die „Festung einer versteinerten Zeit, eine schmerzhafte Notwendigkeit”, von der er sich aber gleichwohl nicht lösen kann.
Als er von Mandina, einer alten Verwandten, die als eine der wenigen die Insel Vis noch nicht verlassen hat, ein Familiengeheimnis erfährt, einen Ehebruch, verläßt er die Runde der zerstrittenen Brüder und sucht in der Nacht allein das Meer auf. Im Angesicht der schwarzen Wellen erfährt er die Gewalt des Garbin, eines Windes, „der erst inne hält, wenn das Schiff zerschellt, nicht vorher, niemals!”
Aus den Schrecken dieser Nacht wird Stipan Tarbuskovic dann seine Lehre ziehen, wie man sie so nicht erwarten konnte. 
 
„Garbin. Wind der der blauen Schatten” von Anela Borcic ist ein langsam erzählter, stimmiger Prosatext auf einem beachtlichen Sprachniveau. Und nicht zuletzt erfährt eine deutsche Leserschaft etwas von den inneren Dämonien eines Landes in Europa. Wie wichtig das ist, erfahren wir alle gerade in diesen Zeiten, da wieder ein barbarischer Krieg auf diesem Kontinent möglich geworden ist. 
 
Anela Borcic  - „Garbin. Wind der der blauen Schatten“
Novelle, aus dem Kroatischen übersetzt von Blanka Stipetic
© 2022  Verlag Schruf & Stipetic, Berlin, 150 Seiten, gebunden – ISBN: 978-3-944359-67-0
22,90 €
Weitere Informationen:  www.schruf-stipetic.de