Tränendrüsen frontal angepeilt

„The Son“ von Florian Zeller

von Renate Wagner

The Son
USA 2023

Drehbuch und Regie: Florian Zeller
Mit: Hugh Jackman, Zen McGrath, Anthony Hopkins, Laura Dern,
Vanessa Kirby u.a.

Österreichisches Prädikat: Besonders wertvoll
 
Mit „The Father“, der Alzheimer-Geschichte, hatte der französische Dramatiker Florian Zeller (den vor allem die Wiener Josefstadt viel spielt) internationalen Erfolg – sechs „Oscar“-Nominierungen 2021. Anthony Hopkins trug den großen Preis als „Bester Hauptdarsteller“ heim, das Drehbuch, das Zeller mit Hilfe des renommierten englischen Dramatikers Christopher Hampton geschrieben hatte, bekam auch einen „Oscar“.
Und Hampton war wieder an Bord, als Zeller daran ging, ein weiteres seiner Bühnenstücke auf die Leinwand zu bringen, wobei der „Sohn“ an sich die vielleicht noch ergreifendere Geschichte erzählt als die Alzheimer-Tragödie (die auch häufiger ist). Denn der 17jährige Zach, ein Scheidungskind, findet offensichtlich nichts am Leben – die Schule interessiert ihn nicht, er will nicht mit seinen Altersgenossen herumhängen, er möchte keinen Beruf ergreifen, keine Karriere machen. Das geht weit über übliche pubertäre Krämpfe hinaus, auch weit über Depressionen, die in vielen Fällen schließlich einmal weichen. Das ist – und es gibt sie auch im Leben – eine Krankheit der Seele, die nicht geheilt werden kann. (Eltern von Kindern, die sich umgebracht haben, wissen das.)
 
Zeller, wieder als sein eigener Regisseur, beleuchtet das Thema von allen Seiten, Vater, Mutter, Sohn, die mehr von außen betrachtende Stiefmutter, die betroffene Umwelt von Lehrern, Ärzten, Psychologen. Da ist der Vater Peter (sehr differenziert in seinen Nöten: Hugh Jackman), der als erfolgreicher Anwalt eigentlich nicht gewöhnt ist, daß Dinge nicht funktionieren. Er hat mit seiner neuen jungen Frau Beth (Vanessa Kirby) ein neues Leben angefangen, ein neues Kind, ein Baby-Sohn. Das Glück wird jäh unterbrochen, als die Exfrau Kate (eine begreiflicherweise meist hysterische Laura Dern) vor der Tür steht und erklärt, daß sie mit Sohn Nicholas (Zen McGrath) nicht mehr zurecht kommt. Dieser erklärt, daß er bei dem Vater leben will, die Stiefmutter verhält sich durchaus anständig, aber die neue Umgebung rettet nichts.
Zeller zeichnet Ratlosigkeit und blanke Verzweiflung der Eltern nach, die diesen Sohn lieben und alles für ihn tun wollen, ein schlechtes Gewissen haben (schließlich ist möglich, daß die kaputte Ehe ihn in diese Verzweiflung gestürzt hat), aber merken, daß nichts fruchtet, daß kein Verständnis, keine Zuneigung zu diesem Bündel Unglück, das ihr Sohn ist, durchdringt. Dieser kann auch auf vielfache Aufforderung nicht erklären, was ihm fehlt – weil es dafür wahrscheinlich keine Worte gibt.
 
Auf der Bühne spielt die Geschichte konzentriert in einem Raum, der Film erweitert das um nur wenige Außenschauplätze (nur wird im Gegensatz zum Theaterstück, vielleicht als Dank an Anthony Hopkins für „The Father“, dieser als Großvater in einer kurzen Szene eingeführt, die sehr interessant ist und Akzente der Kommunikations-Kälte setzt, die allerdings nicht weiter verfolgt werden).
Jedenfalls besteht bereits sehr bald die Gefahr, daß die geballte Verzweiflung für den Zuschauer nach und nach zu viel wird, das Leid zu einförmig, zumal sich die Situationen zu wiederholen scheinen und die Geschichte auf der Stelle tritt. Erinnerungs-Rückblicke von Vater und Sohn als Kleinkind am Meer muten recht klischeehaft an. Doch – wie immer die Weisheit von Psychoanalytikern lauten mag, Tatsache ist, daß diesem Jungen, um den es geht, nicht zu helfen ist, und dieses Leid spielt Zen McGrath voll aus.
Nach der Premiere bei den Filmfestspielen in Venedig gab es Vermutungen, „The Son“ könne (wie der Vorgänger-Film) ein „Oscar“-Kandidat sein, aber als die Nominierungen herauskamen, fand man weder den Film bei den besten Filmen noch den glänzenden Hugh Jackman unter den besten Schauspielern (bei den „Golden Globes“ war zumindest er nominiert gewesen), kurz, er fiel völlig unter den Tisch. Tatsächlich sind auch die Kritiken eher schlecht ausgefallen, was angesichts der Geschichte, die erzählt wird, schade ist. Aber daß Zeller zu Banalität und billigen Effekten neigt, weiß man schon vom Theater. Es gibt eine tragische Schlußpointe… wer das Stück nicht in den Kammerspielen gesehen hat, wird überrascht sein. Die Tränendrüsen werden jedenfalls frontal angepeilt. Trotzdem wird Zeller, wie dieser Film zeigt, auf die Dauer mit Krankengeschichten auf der Leinwand wohl nicht reüssieren können.
 
 
Renate Wagner