Metagesetze und Metaphysik

Thomas Hertog - „Der Ursprung der Zeit – Mein Weg mit Stephen Hawking zu einer neuen Theorie des Universums“

von Ernst Peter Fischer

Metagesetze und Metaphysik
 
 „Der Ursprung der Zeit – Mein Weg mit Stephen Hawking
zu einer neuen Theorie des Universums“
 
Von Ernst Peter Fischer
 
Der Ursprung der Zeit“ – so heißt das Buch, in dem der aus Belgien stammende theoretische Physiker Thomas Hertog seine Jahre mit Stephen Hawking beschreibt, in denen der weltberühmte und an einen Rollstuhl gefesselte Brite bis kurz vor seinem Tod 2018 an der „finalen Theorie“ des Universums arbeitete, die auf dem Umschlag angekündigt wird. Man öffnet den Band mit großen Erwartungen, muß sich aber bis Seite 333 durcharbeiten, bevor man erfährt, was in dem aufgespannten theoretischen Rahmen der Ursprung der Zeit wäre. Er kommt dadurch zustande, wie zu lesen ist, daß aus holographischer Sicht die frühesten Stadien des Universums die spukhaftesten sind und den Wissenschaftlern beim Vordringen in die Vergangenheit – tatsächlich beim Vordringen – die Bits ausgehen. Etwas später ist auf Seite 347 zu lesen, „in Stephens endgültiger Theorie ist der Ursprung der Zeit die Grenze dessen, was sich über unsere Vergangenheit sagen lässt, und nicht etwa der Beginn von allem, was existiert“, wobei den diesmal in die Vergangenheit Zurückgehenden nicht die Bits, dafür aber „die Qubits“ ausgehen. Kurz zuvor konnte man noch erfahren, daß Zeit und Raum am Beginn in „einer Art vierdimensionaler Sphäre verschmolzen gewesen“ waren und dabei das Universum „ins Nichts eingeschlossen“ hätten, also ohne Bits und Qubits. Wer das nicht versteht, sollte seine Finger von dem Buch lassen, denn das waren noch einige der einfacheren Sätze, die einem dort vorgesetzt werden und etwa mitteilen, „die Multiversum-Theorie postuliert so etwas wie Meta-Gesetze, die das Ganze steuern“, oder die einen darüber informieren, daß „der Gravitationskollaps von Sternen mit ausreichender Masse letztendlich eine Raumzeit-Singularität erzeugt, die durch einen Ereignishorizont von der Außenwelt abgeschirmt wird“. Der Autor und Hawking-Vertraute möchte unbedingt etwas über die „Keine-Grenzen-Theorie“ sagen, was dann so klingt: „Beim Keine-Grenzen-Erzeugungsprozeß erfordert die gerundete Form am Boden der Raumzeit die gleiche Art exotischer skalarer Materie, die negativen Druck ausübt, wie die Inflation“, wobei kurz darauf zu erfahren ist, daß das alles überflüssig ist, denn die „Keine-Grenze-Hypothese“ funktioniert überhaupt nicht, da das Universum offenbar doch eine hat.
 
Wer sich mit solchen Behauptungen rumschlagen möchte und denkt, daß sich die Mühe lohnt, weil Hawking einen besonderen Draht zu Gott hat und einem also die Welt erklären kann, sollte in dem Buch blättern, in dem der stets nur Stephen genannte Physiker als „ein Wunder“ vorgestellt wird, weil er als „eine einzigartige Mischung aus Leichtigkeit und Verspieltheit“ auftritt, was einige Menschen neben seinem Lebenswillen und der Entschlossenheit, seiner schweren Muskelkrank-heit zu trotzen, zwar dazu bringt, ihn mindestens wie einen Halbgott zu verehren, den Rezensenten aber eher nervös werden läßt. Hawking selbst ist im Laufe seines Lebens nicht müde geworden, sich in die Nähe von Einstein zu rücken – der Brite macht zum Beispiel ähnlich banale Witze über den würfelnden lieben Gott wie der Mann aus Ulm und beschreibt seine Fehler ausdrücklich mit den gleichen Worten –, und sein Schüler, der Autor des hier anzuzeigenden Buches, schafft es sogar, den Stephen historisch zwischen Newton und Darwin anzusiedeln, was insofern nicht abwegig ist, da die Briten den Erfinder der Hawking-Strahlung von Schwarzen Löchern zwischen den beiden genannten Giganten aus vergangenen Jahrhunderten beigesetzt haben.  
 
Hawkings finale Theorie hat für Experten ihre besondere Bedeutung, da man – wie in dem Buch ausführlich erzählt wird – zwischen dem jungen und dem alten Theoretiker des Universums unterscheiden kann. Das späte Stephen stellt fröhlich auf den Kopf, was der Physiker als junger Mann meinte verstanden zu haben, womit konkret gemeint ist, daß Hawking sich erst an einer „Bottom-Up-Theorie“ des Universums versucht hat, um danach mit einem „Top-Down-Blick“ die Wahrheit in den Blick zu bekommen. Normalerweise meint „Bottom-Up“, daß etwa ein Biologe das Leben von seinen molekularen Bestandteilen aus zu erfassen versucht, währen „Top-Down“ etwa Herzfunktionen ins Auge fasst und nach ihren Auswirkungen auf die Genaktivität in kardialen Zellen fragt. Die Unterschiede zwischen den Ansätzen kommen durch den Schichtenbau der realen Welt zustande, aber bei der Suche nach dem Ursprung der Zeit kann es so etwas noch nicht geben. Eine „Top-Down-Kosmologie“ meint hier den Versuch, eine „Beobachterschaft“, wie es heißt, mit in die Beschreibung aufzunehmen, also eine Quantentheorie des Universums zu entwickeln, wobei dem Leser ein Triptychon vorgeführt wird, das den (religiösen?) konzeptionellen Kern von Hawkings finaler Quantenkosmologie illustrieren soll.  
 
In dem Buch wechseln unverständliche Spekulationen, banale Freundlichkeiten – „Stephens endgültige Theorie besagt, daß es keine endgültige Theorie gibt“ – und historische Ungenauigkeiten einander ab – es stimmt nicht, daß sämtliche Materie aus Teilchen, Atomen und Molekülen gebildet wird –, und der Autor hat nicht verstanden, daß sich die kopernikanische Wende in der Metaphysik vollzogen hat und seitdem der Mensch der Natur ihre Gesetze vorschreibt. Durch diesen aufklärerischen Gedanken wird die Wissenschaft so, wie Hawking sie offenbar auch haben wollte, nämlich als eine „Kosmologie im humanistischen Sinne“, die das Universum zur Heimat der Menschen macht. Er sorgt wie die Natur selbst dafür, daß die Welt nicht so bleibt, wie sie ist, sondern das alles so wird, wie es sein könnte. Der Rest ist Schweigen – wozu es kommt, wenn einem sowohl die Bits als auch die Qubits ausgehen. Doch wenn damit das Sprechen sein Ende findet, kann das Erzählen beginnen. Das wäre doch ein schöner Ursprung der Zeit.
 
Thomas Hertog - „Der Ursprung der Zeit – Mein Weg mit Stephen Hawking zu einer neuen Theorie des Universums“
© 2023 S. Fischer Frankfurt am Main, 424 Seiten, gebunden - ISBN: 978-3-10-390016-3
26,- €
 
Weitere Informationen: www.fischerverlage.de
 
Die Wiedergabe der Rezension hier erfolgt mit freundlicher Erlaubnis