Maria, Maienkönigin

Zur Feier der Mutter Jesu im Frühlingsmonat

von Heinz Rölleke

Prof. Dr. Heinz Rölleke - Foto © Frank Becker
Maria, Maienkönigin
 
Zur Feier der Mutter Jesu im Frühlingsmonat
 
Von Heinz Rölleke
 
Alljährlich begeht die katholische Kirche im Monat Mai ihre besondere Feier der Heiligen Maria. In der heutigen Form hat sich dieser Brauch seit Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt. Er resultierte im Wesentlichen auf zwei Überlegungen: Zum einen wollte man die zahllosen Attribute, mit denen man seit dem Konzil von Ephesus im Jahr 431 die Madonna bedachte, vor dem Vergessen retten, zum anderen sollte der Frühlingsmonat als Symbol eines lichten Neuanfangs der Mutter des Erlösers geweiht sein. Diese jüngere Entwicklung faßt eine 1500-jährige Tradition zusammen und führt sie zugleich zu einem Abschluß. Ein Zeugnis dafür ist ein von Guido Görres, dem Sohn des berühmten Publizisten Joseph Görres, im Jahr 1843 verfaßtes und seitdem populär gewordenes und gebliebenes Kirchenlied, das in allen Maiandachten gesungen wird. Der allgemein bekannt gebliebene Liedeingang preist die Himmelskönigin im altüberkommenen Sinn:

 
                        Maria, Maienkönigin!
                        Dich will der Mai begrüßen,
                        O segne seinen Anbeginn
                        Und uns zu Deinen Füßen.
 
                        Maria! Dir befehlen wir
                        Was grünt und blüht auf Erden.       
                        O laß es eine Himmelszier
                        In Gottes Garten werden.
 
                        Behüte uns mit treuem Fleiß,
                        O Königin der Frauen!
                        Die Herzensblüten lilienweiß
                        Auf grünen Maienauen.
 
       Die Marienverehrung setzte nach dem Konzil von Ephesus im 5. Jahrhundert mit theologischem Hintergrund ein, nachdem Maria als jungfräuliche Gottesgebärerin definiert worden war. Die volkstümliche Begeisterung für die Mutter Christi setzte zunächst eher zögerlich ein, ehe sie durch das Aufkommen des Minnewesens im 11. Jahrhundert zu einem Höhepunkt kam. Maria war „diu hêre frouwe“, der man Dienste und Verehrung wie der geliebten Herrin weihte. In der ein Jahrhundert später einsetzenden mystischen Bewegung stand Maria häufig im Mittelpunkt der Meditationen und Lebenslehren.
       Die gewaltigen Dimensionen des Muttergottesdienstes, wie sie sich neben den Geistlichen Betrachtungen in der Liturgie, in den der Maria geweihten kirchlichen Bauten von der kleinen Kapelle bis zum mächtigen Dom, in der Bildenden Kunst wie in der Musik zeigten, riefen im 16. Jahrhundert die Reformatoren auf den Plan. Martin Luther erkannte zwar die theologischen Definitionen der Mutter Jesu an, verurteilte aber ihre überbordende Verehrung und ihre Rolle als eine Instanz neben Gott, zu der man betete. Die katholische Gegenreformation - vor allem die Orden der Dominikaner, Franziskaner und Jesuiten - propagierte im Gegenzug eine prunkvolle Verehrung Mariae, die sich vor allem in den vielen ihr geweihten Feste zeigte.
       Seit der Epoche der Aufklärung im 18. Jahrhundert versuchte man in ganz Europa, dem Marienkult Einhalt zu gebieten, was indes - besonders in den breiteren Bevölkerungskreisen - kaum fruchtete. Es waren die antiaufklärerischen Romantiker, die zum Teil an mittelalterliche Bewegungen, besonders aber an die Mystik anknüpften. Dichter wie Novalis, Tieck oder Wackenroder zeigten sich als Marienverehrer, und eine unerwartete Welle von Konversionen zum Katholizismus (wobei das Vorbild des Wandels vom protestantischen Johann Scheffler zum katholischen Angelus Silesius im Jahr 1653 nicht zu unterschätzen ist) verschreckte die Aufklärer. Friedrich Stolberg, Friedrich Schlegel oder Zacharias Werner, um nur die Namen einiger Schriftsteller anzuführen, erregten mit ihrem Übertritt zur katholischen Kirche die Öffentlichkeit; vor allem die Revertierung Clemens Brentanos hatte ungeahnte Folgen (was das Marienheiligtum in Ephesus wie die Einführung der Borromöus-Bibliotheken usw. betrifft) . In diesem Zusammenhang spielte die wieder aufblühende Marienverehrung eine besondere Rolle. Das Mariengebet „Ave Maria, gratia plena“ gehört weltweit neben dem „Pater noster“ zu den bekanntesten Gebeten; unzählbare Vertonungen übertreffen die Verto ungendes Heregebetes weit.
           
       Allerdings hatte sich im Lauf der Jahrhunderte die Fülle der Marienfesttage inflationär erhöht. Gerade für die ländliche
Bevölkerung wurde das wegen des Arbeitsverbotes an diesen Feiertagen zu einer Belastung. Um nur die wichtigsten zu nennen: 2. Februar Lichtmeß, 25. März Verkündigung, 20. Juni Herz Mariae, 2. Juli Heimsuchung, 15. August Aufnahme in den Himmel, 8. September Geburt, 12. September Namensfest, 15. September Sieben Schmerzen, 7. Oktober Rosenkranzfest. 8. Dezember Empfängnis. Darüber hinaus gab es Darüber hinaus gab es eine scher unübersehbare Fülle lokaler, nichtkanonischer Gedenktage. Zwar wollte die Kirche die Festtage nicht abschaffen, aber sie sah sich veranlaßt, diese gleichsam zu bündeln und auf den Maimonat zu fokussieren, und es entstanden neue Gebete und Lieder zum Marienlob.. Seither feiert man an jedem Maiabend eine Andacht zur Maienkönigin Maria. und es entstanden neue Gebete und Lieder zum Marienlob. Dabei knüpften moderne Dichter mit Vorliebe an mittelalterliche Vorstellungen von Maria als dem „Hortus conclusus“ (verschlüsselter Garten) an. So werden auch hier alle Blumen des Monats Mai auf „Gottes Garten“ bezogen und die frommen Seelen mit den lilienweißen Blüten identifiziert, in denen die mittelalterlichen Blumennamen (vorzüglich Akelei Walderdbeere, Veilchen, Iris und vor allem Maiglöckchen) versammelt sind. Der Titel „Maienkönigin“ geht auf Görres zurück; er wird allerdings neuerlich zunehmend durch Wiederaufnahme der alten Anrede „Regina caeli“ (Himmelskönigin) ersetzt.
       Besonders den Jugendlichen blieben die Maiandachten oft unvergeßlich in Erinnerung. Sie schmückten die Kirchen mit dem ersten Grün aus Wäldern und Gärten. Die Frühlingsstimmung, der Duft der frischen Haselnußzweige, dem früher aphrodisiake Wirkung zugeschrieben wurde, vor allem aber die allabendliche Begegnung mit dem anderen Geschlecht erweckten bislang unbekannte Gefühle. Bert Brecht brachte das satirisch auf den Punkt: „Erst kommt die Maiandacht, dann kommt die Maiennacht.“
       Die Jahrhunderte alte Verehrung der jungfräulichen Mutter Maria nimmt zur Zeit durch Bewegungen wie „Maria 2.0“ eine andere Richtung; cui bono muß sich erst noch zeigen.
 
 
© Heinz Rölleke für die Musenblätter 2023