Im Ansatz schon …
Michael Hillens Lyrik
Das zarte Pflänzlein Lyrik braucht a. einen guten Boden, b. genau die richtige Dosis Licht und Luft und vor allem c. eine sachte Hand. Den Boden findet es beim Dichter, so er denn Substanz hat und b. Licht und Luft als Mittel klug einzusetzen weiß. Nun fehlt nur noch die sachte Hand, um das Pflänzlein behutsam wachsen zu lassen, é voilà! In Michael Hillens schmalem, nichtsdestoweniger reichem bei Königshausen & Neumann erschienenen Band „Wo das Gestern geblieben ist“ trifft all das ideal zusammen.
Die Poesie Michael Hillens ist eine sehr persönliche Reise in des Dichters Leben, seine Erinnerungen, die ihn umgebende Vergangenheit, die sicher manchem gefühlvollen Leser gelegentlich als eine Reise ins Eigene vorkommen könnte. Denn so privat viele der Gedichte sind, lassen sie doch Versatzstücke, Gedankenfetzen aufblitzen, die sich mit Reflexionen manches anderen verbinden lassen – Lyrik, die nicht nur deshalb berührt. Reminiszenzen an Freunde und Weggefährten (Karl Otto Götz, Peter Langen), der mahnende Gedanke von Vanitas und Ewigkeit (glühbirne von livermore), der Lebensweg von im hand umdrehn bis zur Realisation der Vergänglichkeit in die küchenuhr. Michael Hillen berührt, weckt Bilder, fesselt mit Wahrheiten.
Gegliedert in griffige Kapitel „Geruch aus fernen Tagen“ (geht es Ihnen auch so, daß plötzliche Gerüche eine Flut von Bildern und Erinnerungen auslösen können?), „Aus mittlerer Entfernung“, das das Heute mit dem Morgen verbindet – ich liebe traulich und herbstinventur – und abgeschlossen mit dem mahnenden „Heute noch“ öffnet Michael Hillen den Kosmos seiner Gedanken und wagt das Persönliche. Abgesehen davon, daß seine Lyrik grundsätzlich einen Platz im Deutschunterricht verdient hätte, gibt es gerade im letzten Kapitel Texte, die um jeden Preis an junge Menschen gebracht werden müssten – Mahnungen der Traumata Krieg und Völkermord, nennen wir nur heute noch und das tor. Lassen Sie mich letzteres hier zitieren:
das tor
wie heiter es ist.
zu beiden seiten rankt
roter wein an ihm herab.
es hat keine erinnerung.
»Sie müssen durch dieses tor«
weist die freundliche frau
dem fremden noch einmal
den weg.
aber der alte mann
kann durch ein tor
nicht gehn.
Michael Hillens „Wo das Gestern geblieben ist“ ist nicht nur ein bestechender Lyrikband von Rang für Liebhaber der Poesie. Seine Inhalte haben die grandiose Gültigkeit, die Gedichte über die Zeit zu bringen vermögen. Von den Musenblättern sehr empfohlen.
Michael Hillen – „Wo das Gestern geblieben ist“
Gedichte
© 2021 Königshausen & Neumann, 97 Seiten, Broschur - ISBN: 978-3-8260-7426-4
14,80 €
Weitere Informationen: https://verlag.koenigshausen-neumann.de
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