Legende und Sonntagsbraten

Wilhelm Bode – „Hasen“

von Robert Sernatini

Legende und Sonntagsbraten
 
Einiges über Meister Lampe
 
 
Vice Versa
 
Ein Hase sitzt auf einer Wiese,
des Glaubens, niemand sähe diese.

Doch, im besitze eines Zeißes,
betrachtet voll gehalt´nen Fleißes
vom vis-a-vis geleg´nen Berg
ein Mensch den kleinen Löffelzwerg.

Ihn aber blickt hinwiederum
ein Gott von fern an, mild und stumm.
 
Christian Morgenstern
 
 
Wann haben Sie zum letzten Mal einen Hasen in freier Wildbahn gesehen? Oder eine ordentlich gespickte Hasenkeule auf Ihrem Teller gehabt? Der Feldhase (Lepus europaeus), im Volksmund auch „Meister Lampe“ genannt, ist selten geworden, vergleicht man wie Wilhelm Bode die Abschußzahlen der Jägerei: waren es Anfang der 70er Jahre noch rund zwei Millionen erlegte Hasen, hat sich die Zahl aktuell auf ein Zehntel, nämlich 200.000 reduziert. Die Schuld daran schreibt Bode, selber passionierter Jäger, der rücksichtslosen Agrarpolitik mit ihrer landwirtschaftlichen Flurbereinigung und Massenproduktion zu, die mit dem Ziel hoher, höchster Erträge ohne Rücksicht auf die natürlichen Lebensbedingungen Gifte in die Natur einbringt, welche jegliches Beikraut vernichten, zugleich die Lebensgrundlage für Insekten, Vögel, Kleingetier und eben auch die nahezu alles verdauen könnenden Hasen. Am Pranger steht hier Herbizide, vor allem auf Glyphosat-Basis, insbesondere das hochgiftige US-Produkt Round-up von Monsanto, aufgekauft vom Chemie-Riesen Bayer und nun zu Recht weltweit in der Kritik stehend. Die Gewinngier des real existierenden Kapitalismus nimmt einen höheren Stellenwert ein als die Erhaltung der Natur. Bei den Konzernen und der ihnen hörigen Politik.

Albrecht Dürer, Hasenportrait 1502

     Wilhelm Bode taucht in seinem ebenso unterhaltsamen wie informativen Hasen-Buch tief in die Kultur-Geschichte des bis zu 6 kg schweren, friedfertigen Hasen ein, der notabene kein Nagetier ist. „Hasen sind sonderbare Wesen – mit entwaffnender Aggressionsfreiheit und erstaunlicher Harmlosigkeit wirken sie etwas aus der Zeit gefallen. (…) Ihre Augen wie ihre langen Ohren, die sogenannten Löffel, sind stets in 360°-Bereitschaft, was ihnen trotzdem nicht immer das Leben zu retten vermag, denn Feinde der Hasen gibt es viele: Füchse, Greifvögel sowie Jäger,“  zitieren wir hier gerne den Verlagstext.
Mit 32 hervorragenden Bildbeilagen von Albrecht Dürers unübertroffenem Hasenportrait (1502) über Jean-Baptiste Chardins Stilleben mit totem Hasen (1760) und Carl Spitzwegs Der Sonntagsjäger von 1865 bis zu einer Göring-Karikatur aus dem Kladderadatsch aus dem Jahr  1933 erzählt Bode die Geschichte des Hasen in Literatur, Volksglaube und Mythologie, vor allem aber aus der Sicht des Waidmannes. Falk Normann hat für den Appendix, die Beschreibung von sechs Hasen- und zwei verwandten Kaninchenarten acht vortreffliche Bilder beigetragen.

     Natürlich spielen der Osterhase in allen Variationen und seine Rolle in der Volkskunde eine wichtige Rolle, ist Fritz Koch-Gothas HäschenSchule bei einer solchen Betrachtung unverzichtbar und wird auch dem Märchen Der Hase und der Igel angemessen Raum gegeben, das die Brüder Grimm erst in die 5. Auflage 1843 ihrer Sammlung der Kinder- und Hausmärchen als KHM 187 aufgenommen haben. Unter dem Strich erfahren wir, daß dem Hasen nicht nur dort stets viel Unrecht widerfahren ist. Leider erfahren wir nichts über das ewige Rätsel des Paderborner Drei-Hasen-Fensters im Kreuzgang des dortigen Doms und auch die Playboy-Häschen bleiben unerwähnt. Zwei als Literatur-Zitate nicht aufgenommene Gedichte von Christian Morgenstern und Joachim Ringelnatz  habe ich mir erlaubt hier einzubringen. Ein Verzeichnis der Illustrationen ist vorhanden, ein hilfreicher Index für das etwas unübersichtlich gestaltete Buch fehlt aber.
 
 
Silvester

© Mast-Jägermeister SE


Daß bald das neue Jahr beginnt,
Spür ich nicht im geringsten.
Ich merke nur: die Zeit verrinnt
Genauso wie zu Pfingsten.

Genau wie jährlich tausendmal.
Doch Volk will Griff und Daten.
Ich höre Rührung, Suff, Skandal,
Ich speise Hasenbraten.

Mit Cumberland, und vis-a-vis
Sitzt von den Krankenschwestern
Die sinnlichste. Ich kenne sie
Gut, wenn auch erst seit gestern.

Champagner drängt, lügt und spricht wahr.
Prosit, barmherzige Schwester!
Auf! In mein Bett! Und prost Neujahr!
Rasch! Prosit! Prost Silvester!

Die Zeit verrinnt. Die Spinne spinnt
In heimlichen Geweben.
Wenn heute nacht ein Jahr beginnt,
Beginnt ein neues Leben.

Joachim Ringelnatz
 

Wilhelm Bode – „Hasen“
Reihe: Naturkunden
© 2023 Matthes & Seitz Berlin, 160 Seiten, gebunden, Fadenheftung - ISBN: 978-3-7518-0224-6
22,- €
 
Weitere Informationen: www.matthes-seitz-berlin.de
 
Redaktion: Frank Becker