Tödliche Anarchie

Daniel Höra – „Berlin Gangster“

von Sabine Kaufmann

Tödliche Anarchie
 
Die zwei Jahre der Berliner Gladow-Bande
 
Berlin, Ende der 1940er Jahre. In der zerbombten, zerrissenen Vier-Sektoren-Stadt ist unter der alliierten Besetzung die öffentliche Ordnung noch längst nicht wieder hergestellt. Der Schwarzmarkt blüht, die Wohnungsnot ist enorm, die Versorgung der Bevölkerung kritisch, und die Polizeien der vier Besatzungsmächte sind sich nicht grün. Der ideale Boden für das Verbrechen, können sich doch Ganoven alle Couleur, Einbrecher, Räuber, Diebe, Schieber und sogar Mörder durch die Flucht über eine Sektorengrenze dem Zugriff der schlecht ausgestatteten Ermittler entziehen. Es bilden sich auf diesem gesetzlosen Boden Banden aus Entwurzelten, Ausgebombten, Arbeitsscheuen, desillusionierten Kriegsheimkehrern und einfach skrupellosen Kriminellen, die weitgehend unbehelligt ihrem kriminellen Tun nachgehen können.
 
Einer von ihnen ist der erst 17jährige Werner Gladow, der sich „Doktorchen“ nennen läßt und sich in grenzenloser Hybris berufen fühlt, im zerstörten Berlin eine Verbrechensherrschaft à la Al Capone aufzubauen. Zwischen beinahe kindlicher Naivität, die sich aus Kinofilmen speist und grenzenloser Brutalität entwickelt er ein Charisma, das andere Ganoven anzieht, die seinen Versprechen glauben, unter seiner Führung wohlhabende Edel-Gangster zu werden, Villen im Grunewald und schicke Automobile zu besitzen und sich irgendwann unbehelligt und mächtig ins Privatleben zurückziehen zu können. Die Gladow-Bande verschafft sich durch Überrumpelung von Ost-Polizisten Schußwaffen, begeht mit zunehmender Dreistigkeit Einbrüche, brutale Überfälle mit Schußwaffeneinsatz und schwerer Körperverletzung bis hin zum Mord. Sie verschaffen sich einen gewissen Ruf und scheinen nicht zu fassen zu sein.
 
Erst als, die konkurrierenden Polizeibehörden der Westsektoren und des Ostsektors eine durch die Not geborene gemeinsame, grenzüberschreitende Ermittlungseinheit bilden, schlägt für Werner Gladow und seine Spießgesellen die Stunde der Wahrheit.
Daniel Höra schildert in seinem Tatsachen-Roman „Berlin Gangster“ auf Akten fußend in brillanter Dichte die anarchischen Jahre 1948/1949 der Gladow-Bande, ihre rücksichtslosen, wahrlich nicht edlen Verbrechen und die verzweifelten Bemühungen der Westberliner Polizei, die Verbrecher zu überführen. Daniel Höra hat sich bei aller schriftstellerischen Freiheit an die Fakten gehalten und ein getreues Bild Berlins dieser wilden Zeit, seiner Polizei und der prosperierenden Unterwelt nachgezeichnet. Er läßt den Roman sich bildreich auch an den Schicksalen der Protagonisten, Nebenfiguren und Polizeibeamten entwickeln
Am 10. November 1950 wurden Werner Gladow und zwei seiner Mittäter, Gerhard Rogasch und Kurt Gäbler in der DDR mit dem Fallbeil hingerichtet. Der Mitgründer der Gladow-Bande, Werner Otto Papke, wurde zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.
 
Ein unbedingt lesenswerter Dokumentations-Roman, von den Musenblättern empfohlen.
 
Eine Leseempfehlung im Zusammenhang: Hans Pollak „Tatort Sektorengrenze“, Verlag Neues Leben Berlin, 1994.
 
Daniel Höra – „Berlin Gangster“
Kriminalroman
© 2023 BEBUG mbH / Rotbuch Verlag, 400 Seiten, gebunden – ISBN: 978-3-86789-213-1
22,- €
 
Weitere Informationen: www.rotbuch.de