Peter Brötzmann †

Der bedeutende Freejazz-Saxophonist Peter Brötzmann starb gestern

von Frank Becker und Jörg Aufenanger

Foto © Karl-Heinz Krauskopf


Peter Brötzmann †
 
Soeben erreicht uns die traurige Nachricht, daß der bedeutende Freejazz-Saxophonist
Peter Brötzmann (1941-2023) gestern gestorben ist.
 
 Es brötzt wie eh und je, wenn Brötzmanns Peters Lippen das Mundstück seines Saxophons berührt haben und er losbläst wie ein junger Gott, der indes schon siebzig Jahre zählt. Zum ersten Mal habe ich ihn 1968 in Berlin gehört, im damals angesagtesten Club der Stadt, dem „Kilroy“ in Wilmersdorf. Völlig unvorbereitet war ich in den Keller hinuntergestiegen, ein musikalischer Sturm empfing mich, der mich umhaute, so daß ich mich am Geländer festhalten mußte. So etwas Radikales hatte ich nie zuvor gehört, aber diese Musik paßte in die Zeit wie keine andere, das spürte ich nach wenigen Tönen.“
(Jörg Aufenanger 2011 anläßlich der Verleihung des Deutschen Jazzpreises an Peter Brötzmann)
 
Am 6.März 1941 in der Bergischen Mittelstadt Remscheid geboren und dort aufgewachsen, machte Peter Brötzmann 1959–1960 auch seine ersten musikalischen Schritte in einer Remscheider Jazzband. Remscheider Künstler und Musiker trafen sich im Haus des Bildhauers Gustav Kramer, einer alten, zwischenzeitlich längst abgerissenen Villa am Markt. Der Keller wurde von den Jazz-Amateuren als Probenraum genutzt. Dort probte der Pianist Rudi Haenel mit seinem Sextett, dem Peter Brötzmann am Tenor-Saxophon angehörte. Ihr erstes öffentliches Konzert gab die Band am 24. Juni 1959 in der Mädchenberufsschule Freiheitsstraße Remscheid.
Der Maler Gerd Hanebeck (1939-2017), wie Brötzmann in Remscheid geboren, konnte sich gut an diese Zeit erinnern. Er kannte den gleichaltrigen Peter Brötzmann seit dem vierzehnten Lebensjahr. Beide studierten ab 1959/1960 auf der Wuppertaler Werkkunstschule. Sein Kunstschaffen stellte Peter Brötzmann zwar nie ein, es trat jedoch im Zusammenhang mit seiner Weltkarriere als Jazz-Saxophonist in den Hintergrund. Man erinnert sich jedoch gerne an seine große Ausstellung im April 2011 in der Wuppertaler Galerie Epikur von HP Nacke.
 
Lassen wir Jörg Aufenanger erneut zu Wort kommen:
„Begonnen hat Brötzmanns Erfolgsgeschichte in Wuppertal. Die Wuppertaler Atmosphäre zu Beginn der 60er Jahre, als in der Galerie Parnass am Brill mit Brötzmanns Beteiligung jene Ausstellungen und Happenings stattfanden, die in die Kunstgeschichte eingingen. Zu der Free Art gesellte sich flugs der Freejazz, und 1963 erschien schon Brötzmanns erstes Album „Für Adolphe Sax“ mit  Lovens und Johansen, und zwar im eigenen Label „Brö“. Wuppertal wurde Weltstadt, hierhin kamen in der Folge die besten Musiker des Freejazz aus Europa und Übersee, und die Wuppertaler Musiker, wie eben Brötzmann, Kowald, Schönenberg, Johanson und andere gingen in die Welt. Die Konzerte im Von der Heydt-Museum waren Fixpunkte der freien Musik, später auch in der Börse, wo jenes Konzert stattfand, das für mich das Begeisterndste war, das ich je von einer Freejazzformation gehört habe, das Nato Alarm Orchester hieß es wohl, das Brötzmann mit Musikern aus aller Welt zusammengestellt hatte. So eine radikale Musik hatte ich außer der von Bernd Alois Zimmermann in seiner Oper „Die Soldaten“ nie gehört und auch danach nie mehr. Eine Musik jenseits aller Fragen. Eine Orgiastik.
Dann Berlin. Hier fanden ab 1969 in der Akademie der Künste die Workshops Freie Musik statt, auch in diesem Jahr wieder, geleitet von Brötzmann. Hier entstand das Label FMP, gegründet von Jost Gebers und Brötzmann, das diese Musik auch in die Wohnzimmer der Welt trug.“
 
Ich selbst erinnere mich an verschiedene Wuppertaler Konzerte Peter Brötzmanns, die man schlicht als elementar bezeichnen kann, u.a. im gewaltigen „Battle“ mit Willem Breuker 2002 und - ein besonderer Leckerbissen im Januar 2012 - im Duo mit Wolfgang Schmidtke:
 
Lyrik und Explosion
 
Vor einer Woche zog ein Jazz-Ereignis von höchster Rarität Heerscharen von Musikfreunden in das völlig verkommene Foyer des Schauspielhauses Wuppertal, das einst eine Perle deutscher Theater-Architektur gewesen ist. Seit die Lokalpolitik nichts mehr tut, um das schöne Haus in seinem Bestand zu erhalten - oder sollte man sagen: alles tut, um es nicht zu erhalten, verfallen Gebäude und Umgebung zusehends, können nur noch Künstler mit Engagement und Energie dafür sorgen, daß wenigstens den Vorräumen gelegentlich für kleine Theaterproduktionen und Jazz-Konzerte Leben eingehaucht wird.
Nun kann man beim oben erwähnten Jazz-Ereignis zwar nicht von „Hauch“ sprechen, aber grandios war es allemal. Die Saxophonisten Peter Brötzmann und Wolfgang Schmidtke trafen sich auf dem schmucklosen Podium des Foyers zu einem Freejazz-Abend, wie ihn Wuppertal und damit zugleich die  Freejazz-Szene seit dem Zusammentreffen Brötzmanns mit Willem Breuker (1944-2010) im „Nachtfoyer“ an gleicher Stelle vor 10 Jahren nicht erlebt hat. Schon damals, noch unter der Wuppertaler Intendanz von Holk Freytag, war Wolfgang Schmidtke Organisator dieser einzigartigen Konzertreihe. Jetzt verhalfen er und Peter Brötzmann ihr zu einem neuen Höhepunkt.
Die über 150 Zuhörer, unter ihnen auch Holk Freytag, die zum Teil stehend dem außergewöhnlichen Konzert folgten - ausreichend Stühle konnten in der Eile nicht herangeschafft werden - erlebten neben einer überraschend lyrischen Seite Brötzmanns und dem überbordenden Temperament Schmidtkes mit dem musikalischen Sprengstoff, den die beiden besitzen, auch die erwarteten und erwünschten Klangexplosionen. Es war das kongeniale Miteinander zweier großartiger Musiker, die sich und ihrem begeisterten Publikum in Solo und Duett, mit Klarinetten, Baßklarinetten, Sopran-, Alt- und Tenorsaxophonen nichts schuldig blieben.

Im August 2021 versammelte sich eine Weltelite des Freejazz in Wuppertal, um drei Tage lang mit Konzerten den 80. Geburtstag Brötzmanns zu feiern. Brötzmann natürlich mittendrin.
Nun ist Peter Brötzmanns Kanne verstummt, und der Wuppertaler Welt-Jazz hat nach Peter Kowald und Hans Reichel einen weiteren ganz Großen verloren.