Hamwa zur Zeit nich!

„Mit dem Dederon-Beutel in den Konsum“

von Frank Becker

Hamwa zur Zeit nich!
 
(O-Ton Dederon-bekittelte HO-Verkäuferin)
 
Als Westbesucher in der verblichenen DDR hatte ich natürlich einen besonders kritischen Blick auf das Sortiment und das tagesaktuelle Warenangebot in den Kaufhallen, Konsum- oder HO-Geschäften. Ich lernte schnell: Wenn es etwas gab, das interessant aussah, sofort zugreifen, auch wenn man es nicht unbedingt benötigte, denn das gab es dann später lange nicht, und man konnte es auch zum Tausch gebrauchen. Ich habe noch heute die hölzernen Kochlöffel aus der Kaufhalle. Das Abendbier war wichtig, aber beim Einkauf bitte stets die Flaschen umdrehen – wenn es rieselt, nicht nehmen! Wenn es irgendwo Orangen gab, ging das rum wie ein Lauffeuer und alle rannten hin. Von den Bananen gar nicht zu reden …
West-Literatur (kaum zu bekommen) oder gute Literatur schlechthin war wegen kleiner Auflagen so begehrt wie Waschpulver und die West-Pakete hielten das System am Leben. Noch ein O-Ton: „Wenn ihr uns nicht ständig Kaffee, Jeans, Strümpfe, Kosmetik und Schokolade (Anm.: Die Schlager Süßtafel war ein Graus!) schicken würdet, wäre die DDR längst am Ende und wir wären frei!“

Es gab auch große Versandhäuser wie konsument (Karl-Marx-Stadt), das Versandhaus Leipzig und die Warnhauskette Centrum, die schließlich auch das Versandgeschäft anbot. Alle legten umfangreiche Kataloge mit einem großen, attraktiven Warenangebot vor, doch diese Artikel dann wirklich zu bekommen, war Glückssache. In einem Staat, in dem man nach einer Bewerbung für einen Kleinstwagen Marke Trabant aus Plaste mindestens zehn Jahre auf die Zuteilung warten mußte, wundert das nicht. Alles Gute war Bückware.
 

Trabant - Foto © Bild und Heimat

Zu dem herrlichen Buch „Mit dem Dederon-Beutel in den Konsum“ schreibt der Verlag:
„In der DDR war das Einkaufen eine Kunst für sich. Während Grundnahrungsmittel wie Milch, Brot oder regionales Obst und Gemüse aufgrund staatlicher Subventionierung wenig kosteten, herrschte ansonsten vielerorts Mangel. Für Brötchen hieß es frühmorgens anderthalb Stunden beim Bäcker Schlangestehen, schicke Klamotten musste frau selbst schneidern oder teuer im »Exquisit«-Geschäft bezahlen, und wer schöne Möbel oder Elektrogeräte begehrte, brauchte etwas Glück, es sei denn, er konnte ein Tauschgeschäft einfädeln. Doch Not macht erfinderisch, und nicht zuletzt gab es ja noch die Westpakete mit duftendem Jacobs-Kaffee und feinen Nylonstrümpfen ... Dieser Band läßt den sozialistischen Einkaufsalltag lebendig werden. So berichtet Bettina Klemm über den Einkauf mit Marken in der frühen DDR. Frank Nussbücker erzählt, wie man als vermeintliche »Frau Doktor« im »Delikat« eine bevorzugte Behandlung erfuhr. An die Jagd auf gute Bücher erinnert sich Uli Jeschke. Und Klaus Behling widmet sich dem Design made in GDR und der Frage, warum der Versandhandel unter sozialistischen Vorzeichen nicht funktioniert hat. Ein authentisches Geschichtenbuch voller Witz und sanfter Ironie!“
 

Dresden Neustadt 80er Jahre - Foto © Günter Starke

Damit trifft es den Kern. Wer Jahrzehnte mit dieser Mangelwirtschaft von Mecklenburg bis ins Erzgebirge ge- und überlebt hat (nur die Hauptstadt stand meist etwas besser da), lernte, sich zu arrangieren. Die Zeitzeugen, die mit ihren Beiträgen das Buch mit Leben erfüllen, berichten kurzweilig und kenntnisreich, ungeschönt und oft mit Augenzwinkern in Anekdoten und Erlebnissen von der Einkaufs-Wirklichkeit im „real existierenden Sozialismus“. Verschwundene Begriffe wie Dederon oder Plaste, Exquisit und Delikat bekommen neuen Klang.
Wer damals dabei war, wird sich mehr oder minder vergnüglich erinnern, die Nachgeborenen und Westler bekommen mit diesem

Foto © Frank Becker
Buch eine eher humorvolle Einführung in den Einkaufs-Alltag eines dahingegangenen Staates, in dem Anspruch und Wirklichkeit himmelweit auseinander klafften. Ich glaube, selbst die größten Ostalgiker möchten das nicht zurückhaben.
 
Mit Beiträgen von Wolfgang Kühn, Klaus Behling, Bettina Klemm, Frank Nussbücker, Anke Nussbücker, Uli Jeschke, Frank-Rainer Schurich, Henner Kotte, Günter Starke, Rolf Kremming, Daniela Grosch, Wolfgang Schüler
 
„Mit dem Dederon-Beutel in den Konsum“
Eine Einkaufstour durch die DDR
© 2022 BEBUG mbH / Verlag Bild und Heimat, 159 Seiten, gebunden, Fadenheftung, mit vielen zeitgenössischen Illustrationen – ISBN: 9783959583213
14,99 €
 
Weitere Informationen: www.bild-und-heimat.de