Von alten Innovationen

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Von alten Innovationen
 
Wir haben es versäumt, der Öffentlichkeit klarzumachen, daß Wissenschaft vom Widerspruch lebt.“ So konnte man es einmal in der Zeitung DIE WELT lesen, als es um die Frage ging, wie gut die Klimaforschung mit der Wirklichkeit zurechtkommt. Wir - wer immer dieses Wir ausmacht - können dem Satz nicht nur zustimmen, wir würden ihn gerne um die Experten erweitern, die sich nicht unbedingt als Öffentlichkeit einstufen. Man muß auch den Leuten vom Fach immer wieder klarmachen, daß gegenteilige .Ansichten möglich und nötig sind, vor allem wenn man verstehen will, „wie es eigentlich gewesen“ ist. Diese berühmte Aufforderung richtet sich an die Historiker, die uns die Geschichte der Menschen erzählen. Die Zahl ihrer Darstellungen allein scheint zu garantieren, daß man weiß, was der Fall ist. Doch könnte nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein als solch eine Behauptung. Wer dies nicht glaubt, braucht sich nur zu fragen, welche Rolle die Wissenschaft im Verständnis der Geschichte spielt. Die richtige Antwort - „Keine“ - sorgt erstens dafür, daß wir die Gegenwart nicht wirklich begreifen - wir sind ja nur, was wir geworden sind -, und sie sorgt zweitens dafür, daß wir den Stand der modernen Technik überschätzen. Wer würde nicht denken, daß wir Heutigen in einer Zeit leben, die viel mehr Innovationen als alle früheren Epochen hervorbringt und die sie zudem gezielter angeht? Haben wir nicht das Internet, mobile Telefone, Navigationssysteme und einiges mehr?
Doch so sehr es uns auch kränken mag: Das 19. Jahrhundert war besser. Die Welt hat ihren Höhepunkt an Innovationen kurz nach 1870 erreicht - damals erfand zum Beispiel Edison den Phonographen -, und seitdem geht es bergab. So hat es der in Kalifornien angesiedelte Physiker Jonathan Hübner einmal berechnet, indem er Patentanmeldungen und historisch vermerkte Schlüsselinnovationen gezählt und auf die Bevölkerungsmenge umgerechnet hat. Natürlich haben sich viele Kritiker zu Wort gemeldet, die auf willkürliche Bewertungen hinweisen, die Hübner dabei vornehmen mußte. Aber Wissenschaft lebt ja vom Widerspruch. Führen wir ihn ruhig systematisch ein. Dann haben wir eine Innovation, die wirklich zählt.
 

© Ernst Peter Fischer

Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.