Bis in die Nuancen vollendet

„Delicieux“ von Éric Besnard

von Joachim Klinger

Freiheit geht durch den Magen
(Délicieux – Frankreich 2021)
 
Regie: Éric Besnard
Mit: Isabelle Carré, Grégory Gadebois u.a.
 
Am 31. Juli 2023 hat die ARD um 20.15 Uhr mit diesem Film den Zuschauern ein Geschenk gemacht. Ein herrlicher Film für Franzosen und Frankophile. Man lernt das Essen in Frankreich kennen, besser: die Zubereitung von Speisen. Es ist aber keineswegs ein Film nur für Köche und Feinschmecker! Worum geht es? Der Filmtitel läßt uns im Unklaren.

Das Zeitalter der aristokratischen Vorherrschaft, die Monarchie gehen zu Ende. In Kürze wird die Bastille in Paris gestürmt werden. Das wird nur unterschwellig spürbar. In den Schlössern beharrt man auf traditioneller Kochkunst, Fortschritt und Experiment werden nicht geduldet. Früchte, die unter der Erde reifen, wie z.B. Kartoffeln, sind des Teufels; nur die Ernte oberhalb des Erdbodens erscheint dem Klerus genießbar und angemessen. Der avantgardistische Koch Manceron (Grégory Gadebois) wird vom Herzog de Chamfort gefeuert. Er hatte Kroketten / Pasteten mit Kartoffelbrei zubereitet. Schmackhaft, aber unakzeptabel.
Er zieht sich zurück auf sein kleines Gehöft auf dem Lande, zunächst ratlos. Nach und nach schafft er Hühner und ein Schaf an, sammelt Pilze und Beeren im Wald und beginnt mit einer „Imbißbude“, die sich zur Gaststätte für Reisende entwickelt. Er wird unterstützt von seinem Sohn und der an die Tür klopfenden Frau Louise (Isabelle Carré). Nach einigem Zögern nimmt er sie in die Lehre und erkennt rasch ihre Begabung als Köchin. Manceron bereitet kleine und größere Speisen vor und zeigt auch hier seine Kochkunst. Aus der einfachen Küche entsteht ein gutes Restaurant. Dies ist neu in der Zeit des noch kaum spürbaren Umbruchs.
 
Der Herzog de Chamfort bestellt ein Diner für sich und eine größere Anzahl von Freunden und kündigt sein Kommen an. Manceron trifft die erforderlichen Vorbereitungen und stellt auch wieder die köstlichen kleinen Kroketten, eine Art Pasteten mit Kartoffelbrei her. Aufwand und Kosten sind hoch. An dem Tag des Festmahls fahren die Kutschen des Herzogs achtlos vorbei. Monseigneur hat es sich anders überlegt. Louise gerät darüber in Wut und wirft die köstlichen Kroketten auf die Erde. Als einige Hühner nach dem Verzehr tot umfallen, erkennt Manceron, daß Gift im Spiel ist. Aber warum, und wer ist der Giftmischer? Dies ist gewissermaßen der dramatische Höhepunkt des Films und das weitere Geschehen sei verschwiegen, um die Spannung aufrecht zu erhalten. Ohne dramatische Vorfälle, beinah lautlos, bahnt sich die Veränderung der Verhältnisse in Frankreich an. Am eindruckvollsten wird das veranschaulicht durch den Diener des Fürsten Hyancinthe, der inmitten des geselligen Zusammenseins bürgerlicher Gäste seine Perücke abnimmt, um einfachen Bürgern zu Dienste zu sein.
 
Als der junge Schriftsteller Friedrich Sieburg von einem Mitglied der Académie Française zu einem Essen eingeladen wurde, bereitete er sich gründlich vor. Da der Gastgeber und die beiden zusätzlich eingeladenen Gäste Naturwissenschaftler von Rang waren, machte er sich mit neueren Entdeckungen und Erfindungen vertraut. Alles unnütz! Beginnend bei einer köstlichen Vorspeise beschäftigen sich die Gäste und der Gastgeber nun mit der Zubereitung von Speisen. Erfahrungen werden ebenso wie Rezepte ausgetauscht. In Frankreich gehört die Kochkunst zur Kultur!
Als sich der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher während eines Festessens vor dem Dessert verabschiedete, nahmen das viele Franzosen übel. Die Deutschen wollen nur satt werden, die Franzosen aber genießen – heißt es. Nach meiner Auffassung gibt es deutsche Kochkunst trotz vieler schmackhafter traditioneller Gerichte der deutschen Küche nicht. Ganz im Gegenteil steht die französische Kochkunst bis heute in voller Blüte.
 
Der Film hat opulente Bilder, und die Kamera kann nicht hoch genug gelobt werden. Alle Einzelheiten scheinen akribisch ausgearbeitet zu sein, der Film ist auch in Nuancen vollendet. Aber ob sich die Deutschen nicht bei der Zubereitung der Speisen langweilen?
 
„Delicieux“, in hohem Maße empfehlenswert, ist eine schöne Einheit von opulenten Bildern und ruhigen Einstellungen, die eine harmonische Landschaft sichtbar machen. Das Spiel der Hauptdarsteller Isabelle Carré und Grégory Gadebois ist wunderbar.