Worte und Taten
Kanzler Scholz will Deutschland-Pakt
Von Lothar Leuschen
An jede der Aussagen von Bundeskanzler Olaf Scholz in der Generaldebatte zum Beginn der zweiten Hälfte seiner Amtszeit am Mittwoch im Parlament wird wahrscheinlich jeder Bundesbürger einen Haken machen. Es stimmt ganz einfach, daß Deutschland einen Pakt benötigt, eine Allianz der Vernünftigen, um sich zu entstauben, zu entbürokratisieren, zu beschleunigen. An viel zu vielen Stellen entsteht schon viel zu lang der Eindruck, daß nichts mehr geht im einstigen Wirtschaftswunderland. Baustellen dauern ewig, Genehmigungsverfahren sind kaum schneller, wo immer Veränderung angestrebt wird, regt sich Widerstand, der allzu oft zum Stillstand führt. Deshalb kann Deutschland seine Infrastruktur nicht erneuern, deshalb gibt es noch keine Windstromtrasse von Nord nach Süd, deshalb ist das Bildungssystem marode, deshalb wächst die Wirtschaft nicht mehr, sie schrumpft. Also hat der Kanzler die richtigen Worte gefunden, als er die Opposition zu einem Deutschland-Pakt einlud.
Allerdings macht der Bundeskanzler das in einer Zeit, in der die Abgeordneten sich auch mit dem Bundeshaushalt für das nächste Jahr beschäftigen. Und der sieht wahrlich nicht nach Deutschland-Pakt aus. Er läßt im Gegenteil wenig Spielraum für die von Scholz als notwendig erachteten Investitionen in Digitalisierung und Infrastruktur. Denn weit mehr als die Hälfte des fast 446 Milliarden Euro umfassenden Etats geht in die Finanzierung von Sozialausgaben, von Personalkosten des Bundes und von Zinsen. Das Investitionsvolumen soll demnach lediglich 54 Milliarden Euro erreichen. Das spricht dafür, daß vom Deutschland-Pakt und den damit verbundenen Aufgaben für Politik und Verwaltungen so schnell nicht allzu viel erledigt wird. Dabei sind die Bürger Streit und Stillstand tatsächlich leid. Auch das hat Scholz richtig erkannt. Und viele dieser Bürger sind bereit, ihrem Unmut mit ihrer Stimme für eine rechtsextreme Partei Luft zu machen. Deshalb ist kaum noch Zeit, dass den Worten des Kanzlers Taten folgen. Sonst erlebt Deutschland im nächsten Jahr in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sein braunes Wunder. Der Kommentar erschienen am 7. September 2023 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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