Versuch macht klug
Ist weniger arbeiten wirklich mehr?
Von Lothar Leuschen
Für die meisten Arbeitnehmer ist es ganz klar. Vier Tage arbeiten und fünf Tage bezahlt bekommen, ist ein Traum. Für die meisten Unternehmer hingegen ist sicher: Vier Tage Arbeit erhalten und fünf bezahlen müssen, ist ein einziger Albtraum. Dazwischen liegen Unwissenheit, Mutmaßungen und Ideologie auf der einen wie auf der anderen Seite. Deshalb ist es richtig und wichtig, daß eine Berliner Unternehmensberatung nun auch in Deutschland den Feldversuch starten will. Führt weniger Arbeit bei vollem Gehalt tatsächlich zu besseren Ergebnissen? Oder sind die höheren Stücklohnkosten am Ende der Untergang des industriellen Abendlandes? Niemand weiß es, noch nicht. Vielleicht sind am Ende des Versuches alle Beteiligten schlauer und in der Lage, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Denn das tut not.
Die Welt der Arbeit ist in Aufruhr. Vor allem im globalen Westen. Dort sind die Zeiten vorbei, in denen sich alles um Beruf und Karriere drehte. Die Frauen und Männer der jüngeren Generationen sind weit überwiegend in Wohlstand aufgewachsen. Ihre Eltern haben ihnen erzählt, daß anders als in deren eigenem Leben Arbeit nicht alles sein darf. Work-Life-Balance ist nicht die Erfindung der Generation Z, sondern die Empfehlung deren Eltern. Und nun stellt sich zunehmend die Frage, wer die ganze Arbeit denn leisten soll, wenn die geburtenstarken Jahrgänge 1956 bis 1965 in Rente gehen und es mit der Arbeitsmigration weiter so schlecht funktioniert wie bisher. Da kann es sehr hilfreich sein, wenigstens die Beschäftigten bei Laune und im Arbeitsprozeß zu halten, die derzeit einen großen Teil des Bruttosozialproduktes erwirtschaften. Deshalb ist es auch nicht abwegig, potentielle Auswirkungen einer Vier-Tage-Woche zu ermitteln bei Lohn und Gehalt für fünf Tage. Dabei darf es freilich aber nicht nur um das Wohlbefinden der Beschäftigten gehen. Ebenso wichtig ist die Frage, wie sich dieses Modell auf den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland auswirkt, der im Wettbewerb mit Märkten steht, in denen Arbeitnehmer mit Fragen nach Work-Life-Balance auf absehbare Zeit nichts im Sinn haben. Der Kommentar erschienen am 19. September 2023 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
|