Entschuldigen reicht nicht

Bischof räumt im Fall Hengesbach Fehler ein

von Lothar Leuschen​

Foto © Anna Schwartz
Entschuldigen reicht nicht
 
Bischof räumt im Fall Hengesbach Fehler ein
 
Von Lothar Leuschen
 
Ob Naivität oder vollständiges Verdrängen aller Tatsachen zur Fehleinschätzung geführt haben, wird wahrscheinlich niemals geklärt werden. Dennoch läßt die Entschuldigung des Essener Bischofs Franz-Josef Overbeck dafür tief blicken, daß er vor zwölf Jahren Informationen über möglichen sexuellen Mißbrauch durch seinen renommierten Vorgänger Hengsbach einfach wegwischte und in Kenntnis der Vorwürfe noch ein Denkmal für den 1991 gestorbenen Kardinal enthüllte. Es ist mindestens erstaunlich, daß Overbeck just in einer Phase fast täglich neuer Enthüllungen anscheinend fest von der Integrität Hengsbachs überzeugt war. Wenn das so stimmt, dann beschreibt das einen Grund dafür, daß die katholische Kirche aus dem selbst verschuldeten Abwärtsstrudel nicht herauskommt. Auch Würdenträger wie Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki wirken heute noch so, als ließen sie die Vorwürfe und Skandale nicht an sich heran, als hätten all die Untaten mit ihnen selbst unmittelbar nicht viel zu tun. Da wird verzögert, verhindert, relativiert. Da bleibt vieles im Unklaren und erzeugt Raum für Mutmaßungen und Spekulation. Mit seiner sicher gut gemeinten Entschuldigung entschuldigt Overbeck letztlich gar nichts. Er verstärkt vielmehr den Eindruck, daß die katholische Kirche in Deutschland hilflos und im Grunde nicht in der Lage ist, ihren größten Skandal aufzuarbeiten.
 
Dabei reicht eigentlich aber auch schon das aus, was über die zahllosen Fälle des Mißbrauchs von Kindern und Jugendlichen in der Kirche bekannt ist, daß die Würdenträger von heute auf Knien zu den Opfern und deren Nachfahren rutschen müßten, um nur den Hauch einer Chance auf Vergebung zu haben. Dazu machen noch zu wenige erkennbare Anstalten. Derweil steht in Deutschland die gesamte Organisation am Pranger. Es stellt sich immer mehr Mitgliedern die Sinnfrage. Was kann eine Kirche noch leisten, die nicht imstande ist, ihre Sünden zu beichten und Buße zu tun? Bischof Overbecks Entschuldigung ist zu wenig für die Opfer und wird den Exodus der Mitglieder sicher nicht aufhalten.
 
 
Der Kommentar erschienen am 23. September 2023 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.