Die Verzauberung der Welt

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Die Verzauberung der Welt
 
Niemand wird es übersehen haben, daß 2017 das Luther-Jahr gefeiert wurde. Wenn man gefragt wird, ob sich in einem Satz der Unterschied zwischen dem 16. Jahrhundert und der Gegenwart ausdrücken läßt, kann man mit dem Hinweis antworten, daß es damals, als Luther lebte, ausgeschlossen war, nicht an Gott zu glauben, während man heute dazu die Option hat und sich gegen oder für eine religiöse Zuneigung entscheiden kann. Die Historiker sprechen von der Säkularisierung der Welt, und mit ihr ist das verloren gegangen, was der Theologieprofessor Jörg Lauster als „Verzauberung der Welt“ beschrieben hat, die er durch ein „Aufleuchten göttlicher Gegenwart“ in ihr erkennt und mit einem bestimmten Weltgefühl verbindet.
Nicht vor fünf-, aber vor einhundert Jahren hat der Soziologe Max Weber konstatiert, daß damit Schluß ist und die Menschen diese Verzauberung im Laufe der Geschichte in ihr Gegenteil verkehrt und für eine „Entzauberung der Welt“ gesorgt haben. Die Sozialphilosophen Adorno und Horkheimer haben dieses Verdikt übernommen und geschrieben, „Das Programm der Aufklärung ist die Entzauberung der Welt“, und die scheint ihr nicht bekommen zu sein.
In der Tat: eine entzauberte Welt - da kommt höchstens Langeweile auf, aber nur solange, bis auffällt, wie unsinnig das Soziologenwort ist. Natürlich macht es Mühe, die theologische „Verzauberung der Welt“ weiter zu finden, aber neben dem Glauben gibt es das Wissen, und spätestens mit dem Aufkommen der modernen Physik ist klar, daß die Wissenschaft die Geheimnisse der Welt nicht wegerklärt, sondern im Gegenteil vertieft. So nachzulesen in den 1940er Jahren bei Carl Friedrich von Weizsäcker und im 21. Jahrhundert in meinem Buch, das so heißt wie diese Kolumne, nämlich „Die Verzauberung der Welt“. Jede Erklärung, die die Wissenschaft liefert, enthält mehr Geheimnisvolles als das Phänomen, das es zu erfassen gilt, und das heißt, daß Wissenschaft den Menschen das Schönste verschafft, was es gibt, nämlich das Gefühl für das Geheimnisvolle. Das ist so nachzulesen bei Albert Einstein und führt zurück zu Luther. Ihm nämlich verdankt die deutsche Sprache das Wort „Geheimnis“, das sich bei Goethe in der kühnen Kombination „heilig öffentlich Geheimnis“ findet, das sich ohne Säumnis ergreifen lässt. Wie kann einem dabei langweilig werden?
 
 
 
© Ernst Peter Fischer

Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.