Die geistige Situation der Zeit

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Die geistige Situation der Zeit
 
1968 ist jetzt ca. 50 Iahre vorbei, und derzeit wird eine Menge Papier beschrieben, um für das berühmt-berüchtigte Jahr die Frage zu beantworten, „Was bleibt?“. Was zum Beispiel bleibt, ist daß viele Demonstranten, die damals den neuen Menschen propagiert haben und hinter der nächsten Straßenecke erwarteten, vor allem darauf geachtet haben, verbeamtet zu werden. Nachdem dies gelungen ist und sie wie alle anderen alt geworden sind, gehen sie jetzt in Rente. Was bleibt, ist das Loch in der Rentenkasse und nicht der revolutionäre Schwung, der doch etwas anderes wollte, nämlich den Menschen ein neues Denken ermöglichen. Deshalb schrieb man damals Bücher wie „Die geistige Situation der Zeit“, die man heute noch lesen kann und in denen der „Durchbruch des gesellschaftspolitischen Denkens“ verkündet wurde. Er bestand in einer radikalen Abkehr von der klassischen Bildungstradition. Es ging jetzt nicht mehr um Geist, Idee und Kultur; es ging vielmehr um so etwas wie das Gegenteil, nämlich mehr um Gesellschaft, Einkommen und soziale Gerechtigkeit, nicht zuletzt für politische Beamte. Gymnasien und Universitäten begannen, sich um individuelle Neigungen ihrer Klientel zu kümmern, und sie übernahmen die Aufgaben der Berufsvorbereitung. Studierende sollten vor allem ausgebildet werden, sie konnten dabei ruhig ungebildet bleiben, auch wenn sie eingebildet durch die Gegend liefen. Was bei der geistigen Situation 1968 überhaupt keine Rolle spielte, waren die Naturwissenschaften, und mir scheint, daß deren Verachtung zu den sich am hartnäckigsten haltenden Ergebnissen der 68er-Iahre gehört. Leider werden wir alle für diese Dummheit noch lange und viel bezahlen müssen. Erst kürzlich ist ein weiterer Band erschienen, der unter dem Titel „Die große Regression“ erneut vorgibt, „über die geistige Situation der Zeit“ Auskunft zu geben. Eine Menge links gesinnter Autoren murmelt mehr als dreihundert Seiten lang unverständliches Zeug über Neoliberalismus, globalisiertes Lohndumping und manches mehr, ohne auch nur eine Silbe über Smartphones und die Digitalisierung zu verlieren, deren Nutznießer gerade linke Autoren sind, die dank ihrer Laptops mit ihrer Software bereit sind, die Aufgabe von Genen darin zu sehen, Leben zu programmieren. Frei sein wollen die Linken nicht. Im Gegenteil. Sie lieben die finanziellen Leinen des Staates und die genetischen im Leben. Die geistige Situation der alten Revoluzzer zeigt sich heute wie damals erschütternd kultur- und ratlos. Was kann man tun, damit das nicht so bleibt?
 
 
© Ernst Peter Fischer

Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.