Zur Not im Alleingang

Der Terror der Hamas spaltet die EU

von Lothar Leuschen​

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Zur Not im Alleingang
 
Der Terror der Hamas spaltet die EU
 
Von Lothar Leuschen
 
Auch nach der Wortakrobatik von „Waffenruhe“ hin zu „humanitäre Pause“ ringt die EU im Grunde weiter um eine gemeinsame Position. Es geht im Kern um die Bewertung des Blutbades, das die Terror-Miliz Hamas am 7. Oktober in Israel angerichtet hat. Darüber und über die Reaktion Israels ist in der EU ein Streit entbrannt. Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen stehen sich frontal gegenüber. Vordergründig kritisiert Michel das Vorpreschen der Deutschen im bedingungslosen Rückhalt für Israel. Tatsächlich geht es um Macht. Es geht um die Frage, wer für die 27 Mitgliedsstaaten spricht. Für Michel ist Außenpolitik Sache des Rates, also seine. Von der Leyen ficht das nicht an, sie vertritt offensiv die Position, an der es für eine deutsche Politikerin kein Vorbei gibt. Israel wurde angegriffen und darf sich verteidigen. Ohne Wenn und Aber. Das ist die deutsche Position, das ist, was Bundeskanzler Olaf Scholz mit Staatsräson meinte. Darüber läßt von der Leyen nicht mit sich reden.

Die Kritik des Ratspräsidenten entlarvt eine Geburtsschwäche der europäischen Staatenunion. Deren Reaktion auf den blutigen Hass der Hamas auf Juden und Israel duldete keinen langen Aufschub. Wer in der Weltpolitik eine Rolle spielen will, muß sich in solchen Situationen kurzfristig positionieren können. Das jedoch gehört nicht zur Stärke der EU. Langatmige Diskussionen bis zum vertraglich verbrieften Ziel, Einstimmigkeit aller Mitgliedsstaaten zu erreichen, haben dazu geführt, dass in der interkontinentalen Politik andere die Musik machen. Im Dreiklang von China, den USA und der EU spielt der alte Kontinent die dritte Geige. Und er läuft Gefahr, von Indien um diese Rolle gebracht zu werden.

Bitter ist, daß der Streit zwischen Ratspräsident und Kommissionschefin an einem Ereignis offenbar wird, zu dem es keine zwei Meinungen geben kann. Der 7. Oktober hat gezeigt, wer im Nahen Osten der Hauptfeind von Frieden und Verständigung ist. Wenn die EU nicht in der Lage ist, das einstimmig zu erkennen, dann ist jeder deutsche Alleingang gerechtfertigt.
 

Der Kommentar erschienen am 27. Oktober 2023 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.