Was sie noch machen sollten

Offen gesagt

von Lothar Leuschen​

Foto: WZ
Was sie noch machen sollten
 
Offen gesagt
 
Von Lothar Leuschen
 
Was sollen die denn noch machen? Die Frage von Samir Bouaissa im Zusammenhang mit der neu aufkeimenden Debatte um den Neubau einer Moschee an der Gathe ist berechtigt. Der Wuppertaler Vorsitzende des NRW-Zentralrats der Muslime ist offenbar der Meinung, daß seine Glaubensschwestern und -brüder sich bereits genügend vom Terror der Hamas in Israel distanziert haben. Eigentlich ist das auch so, wenngleich manches Bekenntnis gegen Gewalt und zum Existenz- und Verteidigungsrecht des Staates Israel ein wenig erzwungen und nicht immer restlos überzeugend wirkte. Für Bouaissa gilt das sicher nicht. Und grundsätzlich ist auch kein Moslem in Wuppertal verantwortlich für das Blutbad der Hamas, für das entmenschlichte Abschlachten wehrloser Opfer. Aber auch die Moslems in Wuppertal tragen Verantwortung dafür, daß Moslems, Juden und Christen in dieser Stadt friedlich zusammenleben können. Und spätestens seit dem Terrorakt tragen sie Mitverantwortung dafür, daß sich kein Jude in Wuppertal unsicher fühlen muß, weil er Jude ist.

Deshalb muß die bisher breite politische Zustimmung zum Moscheebau an der Gathe nach dem 7. Oktober, dem Tag des Überfalls, nun noch einmal hinterfragt werden. Denn dieses Haus wird mehr sein müssen als ein Ort des Gebetes. Es wird ein Haus sein müssen, in dem seine Hausherren jederzeit eindeutig zu erkennen geben, wo sie stehen – gesellschaftlich wie politisch. Das Problem ist schließlich, daß diese Moschee unmittelbar ein Projekt der Ditib ist. Damit wird das Vorhaben komplizierter – sehr zum Leidwesen auch jener Moslems, die sich für die Moschee seit vielen Jahren erheblich ins Zeug legen. Ditib ist ein Verein. Er steht für die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“. Der Verein ist unmittelbar angebunden an die staatliche Religionsbehörde Diyanet, die wiederum unmittelbar dem Präsidenten der Türkei unterstellt ist. Der heißt Recep Tayyip Erdogan und bricht derzeit alle Brücken ab zwischen der Türkei und dem Islam auf der einen Seite und der westlichen Welt sowie dem Christen- und dem Judentum auf der anderen.

Diese beunruhigenden Umstände werfen ein ganz anderes Licht auf die berechtigte Frage von Samir Boauissa: „Was sollen die denn noch machen?“ Was können die überhaupt machen?, könnte die Frage auch lauten. Inwieweit sind Ditib-Gemeinden in Deutschland frei, ein anderes Bild des Judentums, Israels und des Konflikts im Nahen Osten zu zeichnen, eines, das sich von den dogmatischen Haßtiraden Erdogans unterscheidet? Wie will eine Ditib in dieser Abhängigkeit in Zukunft gewährleisten, daß für sie in Deutschland gilt, was in der Türkei derzeit undenkbar ist? Wie hält sie es also in Predigten ihrer Imame und im Koranunterricht für ihre jüngsten Gemeindemitglieder mit der Trennung von Kirche und Staat?

Eine bedenkliche Antwort darauf hat jüngst die Ditib-Moschee gegeben, in die islamische Verbände den NRW-Minister Nathaniel Liminski und jüdische Verbände zum Gegenbesuch eingeladen hatten. Ein unangemeldeter Landtagsabgeordneter der SPD wurde umgehend des Hauses verwiesen – vermutlich weil er kurdischer Abstammung ist. Ob das aus Überzeugung geschah oder im Auftrag der Türkei oder beides, wurde bisher nicht kommuniziert.

Mit dem Verbrechen der Hamas-Terroristen in Israel ist der Neubau einer Moschee an der Gathe in Elberfeld ein politisches Thema geworden, mehr noch, als er es vorher war. Die Forderung beispielsweise des FDP-Landtagsabgeordneten Marcel Hafke, daß an der Gathe keine Exklave der Türkei entstehen darf, ist berechtigt. Das beantwortet auch die Frage von Samir Bouaissa: „Was sollen die denn noch machen?“ Sie sollten unmißverständlich und glaubhaft verdeutlichen, daß in ihrer Moschee und im zugehörigen Gemeindezentrum im Einklang mit der deutschen Verfassung gepredigt, gelehrt und gelebt wird. Sie sollten den christlichen Gemeinden und der jüdischen Kultusgemeinde im Alltag die Hand reichen. All das ist mit der staatlichen Verflechtung der Ditib schwierig. Aber das Projekt an der Gathe ist für die Moslems in Wuppertal und auch für die Gathe zu wichtig, um es den autokratischen Machtgelüsten eines Staatspräsidenten zu opfern, dem seine Glaubensbrüder und -schwestern sowie seine Landsleute in Deutschland egal sind.
 
 
Der Kommentar erschienen am 4. November 2023 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.