Der Brückenbauer

Halim Youssef – „99 zerstreute Perlen“

von Michael Zeller

Der Brückenbauer
 
99 zerstreute Perlen” heißt der neue Roman von Halim Youssef, der in diesem Herbst im Bremer Sujet Verlag erschienen ist. Es ist mittlerweile sein sechster Roman. Youssef lebt seit vielen Jahren in Wuppertal (seit 2000 in Deutschland), und arbeitet hier hauptberuflich als beeidigter Übersetzer.
Der Stoff der „99 zerstreuten Perlen” trägt deutlich autobiographische Züge. Sein Held Azado stammt wie der Autor selbst aus dem Norden Syriens, wo er als Kurde eine stark eingeschränkte Kindheit verbringen muß, zumal die Mutter bei seiner Geburt stirbt. Die politischen Benachteiligungen der Kurden durch die syrischen Regierungsregime werden gerade aus der Sicht eines Kindes sehr eindringlich spürbar. Als dann auch noch seine erste Liebe zu dem Mädchen Berivan scheitert, verläßt Azado Syrien Richtung Deutschland, wo er, der schon als Kind für seinen Vater übersetzen mußte, das Diplom des Übersetzers ablegt. Daß er auf diesem Weg „Brücken zwischen den Leuten (s)einer Heimat und den Leuten hier schlagen” kann, ist ein „bißchen Balsam für (s)eine verwundete Seele und brachte (s)einen überhitzten Gedanken Kühlung”.
 
Halim Youssef erzählt von den Schwierigkeiten, mit denen der junge Kurde Azado sich in diesem Land herumschlagen muß: das Erlernen der fremden Sprache und Kultur, das Werben um seine ehemalige Sprachlehrerin Sandra, ihre Heirat endlich, die Geburt einer Tochter, die Trennung nach kurzer Zeit. Bei allem bleibt Azado ein „armseliger Mensch, ein Flüchtling mit gebrochenem Herzen, ein alter Wolf, der sich in der Hölle der Einsamkeit und Fremde um sich selber dreht”.
Glückliche Augenblicke sind ihm selten gegönnt. Am ehesten noch gelingen sie bei seiner Arbeit als Brückenbauer zwischen den angekommenen Flüchtlingen und den Einheimischen. Ausgiebig läßt sich der Erzähler über seinen beruflichen Alltag als Übersetzer aus, den Beruf seines Helden, der auch lange sein eigener war, und das ist gerade für eine deutsche Leserschaft von einigem Interesse, denn deren Kenntnis der kurdischen Geschichte und Gegenwart darf ja als höchst bescheiden bezeichnet werden.
 
Mehrfach ist Azados Hilfe in psychatrischen Kliniken vonnöten, und dabei treten ergreifende Lebensschicksale zutage, die den Übersetzer immer wieder auch in sein früheres Dasein zurückwerfen. So zum Beispiel, als er zwischen dem fünfzehnjährigen Jugendlichen Hussein und dem behandelnden Psychologen dolmetschen muß. Schizophren soll der Junge sein. Er stammt aus der gleichen nordsyrischen Stadt wie Azado und ist -  wir befinden uns ja schließlich in einem Roman – der Sohn von dessen gescheiterter Jugendliebe Berivan.
Als es gelingt, Berivan nach Deutschland zu holen, scheint sich für Azado endlich ein Lichtblick aufzutun, sein bisher angestrengtes, eher freudloses Leben in glücklichere Bahnen einzumünden. Ihr Wiedersehen gibt Anlaß zu den schönsten Hoffnungen. Doch als sollte diesem Menschen kein Glück beschieden sein, fährt ihm auch jetzt das Schicksal aufs das Grausamste dazwischen.
 
Wie das geschieht, sei hier ebensowenig verraten wie die Bedeutung der orientalischen Arabeske von den neunundneunzig zerstreuten Perlen des Titels. Der kurdische Schriftsteller Halim Youssef aus Wuppertal hat jedenfalls einen anregenden Roman geschrieben. 
 
Halim Youssef – „99 zerstreute Perlen“
Roman - Übersetzung aus dem Kurdischen von Barbara Sträuli
© 2023 Sujet Verlag Bremen, 261 Seiten – ISBN 978-3-96202-134-4
19,80 €
 
Weitere Informationen:  https://sujetverlag.de/