Berliner Notate
Dorfposse
In Charlottenburg da steht ein Haus, das bunt in allen möglichen Farben bemalt ist. Nun soll es übermalt werden, denn es stört so manchen, gefällt aber so vielen. „Happy Go lucky“ nennt es sich, ist ein Hostel und beherbergt auf Zeit junge Gäste aus aller Welt.
Geht man abends dort vorüber, trifft man vor dem Haus auf eine Menschentraube. Es herrscht ein babylonisches Stimmgewirr. Die jungen Menschen, die sich dort finden und kennenlernen mit ungeahnten Folgen, sprechen zuweilen in mehreren Sprachen gleichzeitig, ein internationaler Treffpunkt. Zudem ist das farbenfrohe Hostel mit seiner Fassade ein begehrtes Photomotiv für Touristen.
Doch der Charlottenburger Lokalpolitik ist es ein Dorn im Auge.
Der Bezirk hat eine Übermalung in grau oder beige angeordnet. Der Besitzer des Hostels verweigert sich der Übermalung und hat im Namen der Kunstfreiheit eine einstweilige Verfügung gegen sie beim Berliner Landesgericht beantragt, ist aber damit gescheitert. Daraufhin wurde am Dienstag unter Polizeischutz ein Gerüst hochgezogen, damit in Kürze mit der Übermalung begonnen werden kann.
Nun kann man über Geschmack streiten, auch wenn es sich um Kunst handeln könnte, auf deren Schutz der irische Bemaler Dom Brown besteht, in dem er wie der Hostelbetreiber nun auch einen Rechtsanwalt beauftragt hat.
Aber ist das nun Kunst oder kann das weg? Aber wer, kann man hier nun fragen, vermag das zu beurteilen. Ist jede Bemalung wie auch jedes Graffiti nun Kunst?
Was das Ganze aber nun zu einer Charlottenburger Dorfposse macht, ist die Begründung der Übermalung durch das Bezirksamt. Es argumentiert so: Zwei Häuser weiter stehe ein außergewöhnliches Gründerzeithaus, dessen Wahrnehmung aber durch die bunte Bemalung des Hostels beeinträchtigt sei. Ist es nicht ein Grundrecht eines jeden Bürgers da hinzuschauen, wo er hinschauen will? Hinzukommt daß dieses denkmalgeschützte Haus zu zwei Dritteln in einer Straße um die Ecke steht, worauf der Hostelbesitzer indes vergeblich vor Gericht hingewiesen hat.
Oder ist Charlottenburg Schilda? Hätte nicht allgemeine Gelassenheit das ganze Spektakel ins Leere laufen lassen. Jedenfalls hat der Fall über die Dorfgrenzen von Berlin-Charlottenburg hinaus in der gesamten Republik Schlagzeilen gemacht, wie schon in ein anderer Fall im Jahr 2016, als in diesem Hostel der Sänger Jim Reeves äußerst brutal aus homophoben Gründen von anderen Hotelgästen ermordet wurde. Im „Happy go lucky“.
© 2023 Jörg Aufenanger
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