Primadonna Assoluta –
Eine Opernikone im Mittelpunkt des Bühnengeschehens
Professor Thomas Erlach zum 100. Geburtstag von Maria Callas
Herr Erlach, am 2. Dezember 1923 wurde eine der größten Sopranistinnen des 20. Jahrhunderts geboren: Maria Anna Cecilia Sofia Kalogeropoulou, besser bekannt als Maria Callas. Wer war das Ausnahmetalent?
Erlach: Das Leben der Maria Callas war von Anfang an international geprägt. Sie hatte das, was man heute eine Migrationsgeschichte nennt: mit griechischen Wurzeln, aufgewachsen in den USA, lebte sie später in Italien, Frankreich und auf der ganzen Welt. Sie stammte aus der bürgerlichen Mittelschicht, ihr Vater war Apotheker und sie wuchs in der Großstadt New York auf. Sie mußte dann aber die frühe Trennung der Eltern verkraften und ging mit der Mutter und Schwester 1937 nach Athen. Dort studierte sie am Konservatorium, war sehr fleißig und hatte bereits mit 15 Jahren ihren ersten öffentlichen Auftritt während des Studiums. Ihr Aufstieg begann während der deutschen Besatzung Griechenlands ab 1941. In den 50er Jahren schaffte sie dann den Durchbruch zum internationalen Opernstar, gefördert von ihrem wesentlich älteren Ehemann Giovanni Battista Meneghini. Sie gilt als „Primadonna Assoluta“, das bedeutet: wenn sie auftritt, steht sie im Zentrum des Bühnengeschehens.
Ihre berühmten „Skandale“ waren eigentlich eher harmlos, es ging z.B. um eine aus gesundheitlichen Gründen abgebrochene Opernvorstellung in Rom, eine Vertragsauflösung durch die Met in New York, einen Rechtsstreit um Tantiemen mit ihrem ehemaligen Exklusivagenten, sowie später um die Ehescheidung in Folge eines langjährigen Verhältnisses mit dem Milliardär Onassis.
Was war so besonders an ihrer Stimme?
Erlach: Einerseits hatte sie eine „große“ Stimme, sang bereits in jungen Jahren schwere Wagner-Partien wie Isolde, Brünnhilde und Kundry und konnte schon mit 23 Jahren die Arena di Verona mit 20.000 Plätzen ohne Verstärkung beschallen.
Andererseits hatte sie auch eine sehr bewegliche Stimme, geeignet für Koloraturen und große Höhe, wie es Komponisten wie Rossini, Bellini und Donizetti verlangen. Ihr außerordentlicher Stimmumfang umfaßte fast drei Oktaven. Diese drei „Register“ konnte sie ohne technische Schwierigkeiten wie drei verschiedene Stimmen einsetzen mit einem großen Reichtum an Klangfarben. Das läßt sich übrigens inzwischen durch Computeranalysen der erhaltenen Aufnahmen genau bestimmen.
Ihr Repertoire war mit 43 vollständigen Partien sowie Arien aus weiteren 34 Opern immens. Sie beherrschte alle stimmlichen Tontechniken des Belcanto-Gesangs. Was bedeutet das?
Erlach: Belcanto bezeichnet die Ästhetik des italienischen Operngesangs, der auch schwierige stimmliche Anforderungen stellt. Maria Callas beherrschte sämtliche Stimmfächer für Sopran und Mezzosopran. Das ist heute sehr ungewöhnlich, denn Sängerinnen und Sänger haben heutzutage in der Regel ein einziges Stimmfach. Sie hatte aber alles, konnte also lyrisch, Koloratur, Spielfach, dramatisch und jugendlich-dramatisch singen.
Ihr Repertoire war aber strenggenommen eher schmal, jedenfalls nicht so groß wie bei anderen Berühmtheiten. Z. B. beherrschte Enrico Caruso 63 Partien oder Montserrat Caballé sogar 75 Partien. Einige Rollen hat Callas nur ganz zu Beginn ihrer Karriere in Athen gesungen. Die meisten Partien studierte sie zwischen 1948 und 1957 ein, später kamen für Studioproduktionen noch einzelne Arien hinzu. Ihr Schwerpunkt lag auf dem sogenannten langen 19. Jahrhundert. Werke der Avantgarde oder neu komponierte Opern hat sie nie gesungen, ihre Lieblings-Partien dafür immer wieder übernommen, vor allem Norma, Violetta (in Verdis La Traviata), Tosca, Lucia di Lammermoor und Aida. Andere Partien sang sie nur gelegentlich, z. B. Madame Butterfly oder Lady Macbeth. Wagner sang sie nur am Anfang ihrer Karriere, und von Mozart nur die Constanze aus der Entführung aus dem Serail, denn Mozart hat oft gleichberechtigte Partien, und dann wäre sie nicht mehr die Primadonna gewesen. Andere Partien, wie Carmen, hat sie nur auf Schallplatte eingesungen. Sie sang übrigens ausschließlich italienisch und französisch, nicht auf deutsch.
Welche Interpretationen gehören denn zu ihren bekanntesten?
Erlach: Callas mochte am liebsten die tragischen weiblichen Titelrollen in Stücken, bei denen diese unzweifelhaft dominieren. Ihre besondere Begabung bestand darin, diesen Figuren wirkliches Leben zu verleihen, sie emotional zu verkörpern.
Ihre häufigste und ureigene Partie war sicherlich Norma von Bellini, eine zum Zölibat verpflichtete heidnische Druiden-Priesterin im alten Gallien, die ihr Keuschheitsgelübde bricht und dafür in den Tod gehen muß, also der Typus der Femme fragile, der zerbrechlichen Frau in der Oper.
Daneben sang sie die Violetta aus La Traviata von Verdi. Dazu hat sie in einem Interview betont, daß sie der Stimme Violettas mit Hilfe von Atemtechnik und Stimmkontrolle bewußt eine „kränkliche Qualität“ geben wollte.
Weiterhin lag ihr Turandot sehr am Herzen, die einen gänzlich anderen Charakter verkörpert, nämlich eine kaltherzige Prinzessin, die ihren Brautwerbern Rätsel stellt und sie umbringen läßt, wenn sie diese nicht lösen können.
Ihre Darstellung von Cherubinis Medea war sicher am außergewöhnlichsten, da dieses Stück sonst nie gespielt wurde. Ähnliches gilt für Bellinis „Somnambula“ – die Geschichte handelt von einem armen Waisenmädchen, das schlafwandelt und wegen dieser Besonderheit einer Intrige zum Opfer fällt.
Maria Callas hat sich bereits 1965 von den Opernbühnen verabschiedet. Da war sie gerade 42 Jahre alt. Warum?
Erlach: Das hatte vor allem gesundheitliche Gründe. Callas litt an einer seltenen Bindegewebsschwäche, Dermatomyositis, die bestimmte Muskelgruppen befallen kann, unter anderem Hals, Kehlkopf und Rachen sowie Muskeln, die für die Atmung wesentlich sind. Das wußte sie selbst aber erst gegen Ende ihres Lebens, da diese Erkrankung bis dahin kaum bekannt war. Ab 1965 sang sie nur noch in Konzerten. Damals dachte sie noch nicht an ein Ende ihrer Karriere, hatte aber gelegentlich mit Schwächeanfällen in Folge von niedrigem Blutdruck zu kämpfen. Erst 1969 erklärte sie in einem Interview, daß sie aufgrund von Unzufriedenheit mit sich selbst nicht mehr auftreten wolle. Sie führte aber 1973 noch eine Abschiedstournee mit Konzerten in ganz Westeuropa durch, aber nur mit einzelnen Arien. Der allerletzte belegte Auftritt war 1974 im japanischen Sapporo, ein bereits geprobtes Konzert in London 1976 kam nicht mehr zu Stande.
Die Klangfarbe ihrer Stimme war nicht allen Opernfans angenehm, vor allem die Italiener bevorzugten daher ihre Konkurrentin Renata Tebaldi. Kann man das erklären?
Erlach: In der öffentlichen Wahrnehmung wurden die beiden als Gegenpole betrachtet und mit starken Bildern verglichen. Da hieß es, Tebaldi sei der Engel und Callas die Tigerin, und das paßt sowohl vom äußeren Eindruck wie vom Stimmprofil her.
Tebaldi war blond und blauäugig. Ihr zarter lyrischer Sopran erweckte den Eindruck des Ebenmäßigen und Zarten. Ihr Timbre war weich und samtig, homogen und klar. Callas hingegen war wild und dunkel, ihr Sopran war eine Mischung aus hochdramatischer- und Koloraturstimme, also sehr individuell.
Persönlich gab es aber zwischen den beiden Frauen keine Animositäten. Sie verhielten sich völlig korrekt gegeneinander, waren sogar befreundet und besuchten gegenseitig Vorstellungen. Sie konkurrierten auch nicht direkt, da sie trotz einiger Überschneidungen ein unterschiedliches Repertoire bedienten. Die angebliche Rivalität beider war nach Angaben des Regisseurs Zeffirelli eine Erfindung der Presse. Die einzige Konfliktsituation ergab sich 1951 in Brasilien, als beide im selben Haus abwechselnd Tosca und Traviata sangen und das Publikum sich lautstark positionierte. Dabei sollte Maria Callas einmal durch Tebaldi ersetzt werden, woraufhin sie den Theaterdirektor beinahe mit einem Tintenfasshalter beworfen hätte. Das ist aber der einzige bekannte Vorfall dieser Art.
1969 verkörpert die Callas noch einmal Medea in einem Film von Pier Paolo Pasolini, jedoch ohne einen einzigen Ton zu singen. Der Film bleibt bis heute ein Meisterwerk von jener archaischen Wucht, die Maria Callas auch auf der Bühne besaß. Wie oft ist sie eigentlich Deutschland aufgetreten?
Erlach: Einige Male. Erstmals 1955 an der Deutschen Oper Berlin mit Lucia di Lammermoor unter Leitung von Herbert von Karajan. 1957 sang sie zur Eröffnung des Kölner Opernhauses die Amina in Bellinis La Somnambula. 1959 und 1962 folgten zwei Deutschland-Tourneen, jeweils mit mehreren Stationen. Auch ihre Abschiedstournee 1973 umfaßte mehrere Konzerte in Deutschland. Deutschland war aber sicherlich nicht ihr Lieblingsort für Auftritte, ihre Karriere machte sie an den bedeutenden italienischen Bühnen wie der Mailänder Scala, Florenz und Rom sowie an den internationalen Opernhäusern in Paris, London, New York und Buenos Aires. Was den erwähnten Film mit Pasolini angeht, so ist es tatsächlich eine Ausnahme in ihrer Karriere, denn von ihrem eher bürgerlichen und antifeministischen Weltbild her paßte sie eigentlich gar nicht gut zu dem homosexuell lebenden, überzeugten Kommunisten Pasolini. Aber beide freundeten sich während der Dreharbeiten an und fuhren sogar zusammen in Urlaub.
Callas` Leben bestand aus vielen Höhen und Tiefen. Als junge Frau war sie sehr pummelig, orientierte sich dann an der Schauspielerin Audrey Hepburn und nahm binnen kurzer Zeit 36 Kilo ab. Sie steigerte sich bis zur Erschöpfung in ihre Rollen und verlor ihre große Liebe, den Reeder Aristoteles Onassis, der sie sogar zur Abtreibung zwang, an die Kennedywitwe Jackie. 1977 starb sie in Paris an einem Herzinfarkt. Sie war ein Gesamtkunstwerk, eine charismatische Mischung aus magischem Timbre, Bühnenpräsenz, schillernder Persönlichkeit und tragischer Biographie. Wie erinnern wir uns heute an sie?
Erlach: Maria Callas ist ein Mythos. Wir leben in einem Medienzeitalter und da paßt sie als früher Medienstar gut hinein. Das Interesse der Öffentlichkeit galt zeitweise eher ihrem Privatleben als ihrer Kunst, aber das gehört auch dazu. Ein Beispiel: Ihr Gewichtsverlust 1954 wurde durch eine Hormontherapie beschleunigt. Der behandelnde Arzt behauptete aber öffentlich, ihr Diäterfolg sei auf den Verzehr einer bestimmten Nudelsorte zurückzuführen. Da der Direktor der Nudelfirma ein Neffe von Papst Pius XII. war, schlug die Sache hohe Wellen.
Es gibt zahlreiche Aufnahmen ihres Gesangs und Massen von Literatur über sie. Zuletzt erschien dieses Jahr eine dicke Monographie des Kölner Musikwissenschafts-Kollegen Arnold Jacobshagen. Auch mehrere Filme mit dokumentarischem Material sind auf dem Markt. Legendär geworden sind ihre Interviews, in denen sie nicht immer besonders diplomatisch aufgetreten ist. Fast alle Interviewpartner waren Männer, die oft wenig Ahnung von Musik hatten und sie nur auf gewisse „Skandale“ ansprachen, was sie in der Regel schlagfertig konterte. Es gibt auch tiefergehende Interviews, aus denen hervorgeht, daß sie neben ihrem Jet-Set-Leben große Freude an einem Rückzug in alltägliche Beschäftigungen wie Fernsehen schauen, einkaufen und kochen hatte. Sie hat bis heute eine große Fan-Gemeinde, die sich an den alten Aufnahmen mit ihrer Stimme berauscht – ein besonders prägnanter Fall von populärer Klassik-Rezeption.
Uwe Blass
Prof. Dr. Thomas Erlach ist seit 2014 Universitätsprofessor für Didaktik der Musik an der Bergischen Universität.
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