Ehen vor Gericht
Jetzt regelt Justitia auch den Klimaschutz
Von Lothar Leuschen
Zunehmend entsteht der Eindruck, daß die Politik der Bundesregierung in deutschen Gerichten gemacht wird. Nach dem Veto gegen die Haushaltskosmetik für den Klimafonds und zu noch ausstehenden Urteilen etwa zum Heizungsgesetz und zum Informationsgebaren von Rot-Gelb-Grün hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg nun zum Thema Klimaschutz gesprochen. Auch hier genügt die Arbeit des Kabinetts von Kanzler Olaf Scholz (SPD) den gesetzlichen Anforderungen anscheinend nicht. Die Richter mahnen Sofortmaßnahmen an, nachdem Umweltverbände solche gefordert haben.
Nun ist es grundsätzlich ein beruhigendes Wesensmerkmal der Staatsform Demokratie, daß unabhängige Richter dem professionellen Politikbetrieb in die Speichen greifen können, wenn sie Regelwerke und Gesetze mißachtet sehen. Deshalb ist auch das Scheitern der kosmetischen Haushaltsoperation des Triumvirats Lindner, Scholz, Habeck nur auf der einen Seite eine Katastrophe. Auf der anderen Seite ist es eine Sternstunde der Bundesrepublik und ein Vorgang, den sich viele Gesellschaften in vielen Staaten der Erde von Herzen wünschen. Die Konstruktion Bundesrepublik. Aber die Akteure üben derzeit einen immensen Druck aus aufs Gebälk. Es knarzt und ächzt an allen Ecken und Enden. In solchen Situationen werden offenbar gern Abkürzungen und Umwege genutzt, die gesetzlich allerdings verboten sind. Gut also, daß Justitia darüber wacht. Diese Wachsamkeit hat jedoch den Nachteil, daß sie dringend notwendige Entwicklungsprozesse aufhält. Das gilt für die Haushaltsplanung ebenso wie für den Klimaschutz, für die Reform der Sozialsysteme, für Digitalisierung, für die Sanierung der Infrastruktur. Deshalb ist es Zeit, dass die Bundesregierung ihre Arbeit und ihre Zusammenarbeit überdenkt. Das Auftreten der drei so ungleichen Regierungspartner erinnert unangenehm an „Ehen vor Gericht“. Nach der Hälfte der Legislaturperiode ist die Koalition gefordert, in wichtigen Fragen auf Grün zu schalten – oder sich scheiden zu lassen. Der Kommentar erschien am 1. Dezember in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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