Berliner Notate
Der Kurfürstendamm - Rückblick und Abschied
Über mehrere Wochen hat die „Berliner Morgenpost“, im Volksmund auch Mottenpost genannt, Geschichte und Gegenwart des Kurfürstendamm erzählt, was eine Flut von Leserbriefen ausgelöst hat, denn der „Prachtboulevard“ ist dem Berliner seit eh und je Herzensangelegenheit. Doch zumeist wird in ihnen der Niedergang in den letzten Jahrzehnten beklagt. Man befinde sich dort nicht mehr wohl und fände sich nicht zurecht.
So ging es auch den Bewohnern einer Seniorenresidenz an der Nummer 100, als sie diese nicht mehr wiederfanden, hatte doch die Bushaltestelle vor dem Haus über Nacht einen neuen Namen erhalten, „Agathe Lasch Platz“. (Man vergibt in Berlin fast ausschließlich Namen von Frauen). Die alten Damen und Herren stiegen aber nun nicht mehr dort aus, sondern fuhren mit dem Bus weiter, waren verloren. Doch das ist nur ein unbedeutendes Apercu der Veränderung, die der Kudamm mitgemacht hat.
Einst war der Kurfürstendamm eine auch kulturelle Flaniermeile, ja die Lebensader Berlins, die sich zu einer Kommerzmeile verwandelt hat, was dazu führt, daß er abends und zur Nacht fast menschenleer ist. Nahezu alles, was das Lebensgefühl eines lustvollen Flanierens und Verweilens ausgemacht hatte, ist in den vergangenen Jahrzehnten verschwunden, die Kinos, die Theaterbühnen wie das „Forum Theater,“ das avantgardistischste Theater der Stadt in den 1960/70er Jahren, die beiden Boulevardkudammbühnen, die seit den 1920er Jahren dort Theatergeschichte schrieben und komplett abgerissen wurden. Allein die „Schaubühne“ existiert noch. Zudem sind Cafés wie das „Kranzler“, das „Möhring“ samt ihrer Vorgärten und Terrassen verschwunden, ebenso Restaurants wie „Mampes gute Stube“, das „Kopenhagen“, das „Reinhards“ im Hotel Kempinski/Bristol, und das „Bovril“ mit seiner französisch orientierten Küche. Hier saß häufig Horst Buchholz in seinem weißen Pelzmantel, den er sommers und winters trug. Eines Abends wurde ich von dem Filmregisseur Will Tremper an seinen Tisch geholt. Ich saß Buchholz gegenüber, versuchte mit ihm zu reden, doch kein Wort von ihm. Da kam Tremper zu mir und meinte, der Horst redet doch nicht mehr. Buchholz wohnte wenige Hundert Meter weiter auf dem Kurfürstendamm, auf dessen Wilmersdorfer Südseite. Seine Stammkneipe „Bei Mo“ lag aber auf der Charlottenburger Seite, sodaß er nicht nur den Kudamm überqueren, sondern auch den Bezirk wechseln mußte. Buchholz starb im März 2003 und damit auch eine Legende nicht nur des Kinos, sondern auch des Kurfürstendamm.
Als letzte Bastion gegen den Wandel gilt das „Wellenstein“ an der Ecke zum legendären „Hotel Bogota“. Hier traf im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts noch ein letztes Mal die „Creme de la Creme“ jener Jahre aufeinander: Maler, Musiker, Schauspieler, Schriftsteller, Journalisten, Lebenskünstler beiderlei Geschlechts aber auch Makler, Rechtsanwälte, Autohändler und ein halbseidenes Gemisch vom oberen Kudamm zählten zur menschlichen Fauna.
Man saß draußen auf der Terrasse, den Kurfürstendamm und seine Passanten fest im Blick, an der Bar, oder an den Tischen, zwischen den es auch schon mal zu einer Aufforderung zum Tanz kam, alles unter der Egide von Wolfgang Mescher, dem genialisch charmanten wenn auch zuweilen schüchtenen Maître de Plaisir, der zuvor eine Bar auf Sylt geführt hatte.
Das „Wellenstein“ läutete das Ende des Kurfürstendamms als geselligem Ort ein, an dem sowohl Glamour als auch Berliner Schnauze zu Hause waren. Es musste schließlich wie anderes zuvor für ein Flagshop Store internationaler Modemarken weichen, in diesem Fall einer Filiale von „Porsche Design.“ Das Abschiedsfest vor nunmehr zwanzig Jahren war dennoch bis in den frühen Morgen hinein eine der heitersten und beschwingtesten Partys, die ich in Berlin erlebt habe. Man tanzte mit der Bierflasche oder dem Glas Champagner in der Hand wild in das Ende hinein. Das Ende des Kurfürstendamms.
Zieht man diesen weiter hoch, so trifft man auf ein Häuserensemble, das Erich Mendelssohn samt einem großen Kino 1928 erbaut hatte. In ihm hat nun die Schaubühne ihr Domizil, nachdem es 1981 aus Kreuzberg ins vornehmere Charlottenburg rübergemacht hatte. Zweifellos eine der wenigen Bereicherungen des Kurfürstendamms.
Zuvor war in diesem architektonisch einzigartigem Ensemble das Restaurant „Ciao“ untergebracht, ein legendärer Schauspieler- Treffpunkt, gegenüber der „Athena Grill“, ein Lokal, in dem es bis in die tiefe Nacht hinein preiswerte griechische Gerichte gab und kurzzeitig daneben gar eine Pogodisco. Ebenso kurzzeitig existierte dort auch der „Playboyclub“ des letzten Playboys von Berlin Rolf Eden, der das Nachtleben des Kudamms mit verschiedenen Edenclubs Jahrzehnte lang geprägt hat. „Der Playboyclub“ existierte im Gegensatz zur Disco „Big Eden“ nur wenige Jahre. In ihm befand sie gar ein Swimmingpool, indem so manche angehende Schauspielerin sich hüllenlos tummelte.
Die weiteren Kilometer den Kudamm hoch hatte sich eine halbseidene Szene etabliert, von der heute so gut wie nichts mehr erhalten ist. Die Chi-Chi Bar, die Nacktanzdisco „Salambo“, ein Geschäft für Angeberautos waren da zu finden, in dem auch Aktphotos von mehr oder weniger schönen Frauen an den Wänden hingen.
Nur das „Atelier“ hat dort bis heute überdauert, ein Tanzschuppen mit deutschem Schlager-Allerlei, deren Inhaberin vor vielen Jahren ermordet wurde, ein Kriminalfall, der nie aufgeklärt werden konnte. Dennoch ist es ein Ort ausgelassener Lebensfreude geblieben, an dem man mitsingen, Discofox tanzen und beim Klammerblues flirten kann und wo weibliche Gäste so gut wie nie ihre Zeche begleichen müssen.
Von dort sind es nur noch wenige Meter bis zum westlichen Ende des Kurfürstendamms. Zwei ungewöhnliche Kunstobjekte krönen es ironisch. Am Henriettenplatz, wo auch Else Lasker-Schüler eine zeitlang zusammen mit Herwarth Walden wohnte und gelegentlich auch auf einer der inzwischen verschwundenen Kudammbänke genächtigt hatte, steht ein Obelisk, von dem Zerokünstler Heinz Mack geschaffen, ein wenig weiter jener in ein Betonkorsett gezwungene Cadillac von Wolf Vostell als ein letztes Zeichen eines „Adieu Kurfürstendamm“, bevor er zur Autobahn übergeht.
© 2023 Jörg Aufenanger
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